Ein Sendeplatz für kleine Tiere: Wie Sat.1 für den Nachwuchs sorgt

Joachim Kosack hat den Nachwuchs fest im Blick: „Junge Talente zu fördern, ist für uns eine echte Herzensangelegenheit“, sagt der Fiction-Chef von ProSiebenSat.1. | Foto © Holger Raunet, ProSiebenSat.1

Als neulich die „First Steps“ verliehen wurden, hielt auch Joachim Kosack, eine Rede. Das darf er, schließlich ist er Mitgeschäftsführer von Sat.1, einem der vier Ausrichter des Nachwuchspreises, der sicherlich einer der wichtigsten seiner Art ist (der Preis), wenn auch bei weitem nicht der einzige. Außerdem nennt sich Kosack „Senior Vice President Deutsche Fiction der ProSiebenSat.1 TV Deutschland GmbH“, ist also verantwortlich für die deutsche Spielfilmproduktionen der Sendergruppe und kennt sich da auch praktisch aus.

In seiner Rede verteidigte Kosack das jüngste Engagement seiner Sender für den Nachwuchs: Die Gruppe hat mit der Filmakademie Baden-Württemberg eine Kooperation vereinbart. Zwei Filme sollen pro Jahr mit jungen Regisseuren entwickelt und produziert und zur besten Sendezeit um 20:15 Uhr ausgestrahlt werden. Damit sie, die jungen Regisseure, die Chance haben, „sich mit ungewöhnlichen Ideen und außergewöhnlichen Plots im Fernsehmarkt zu etablieren“, hatte Kosack dazu erklärt. Denn „junge Talente zu fördern, ist für uns eine echte Herzensangelegenheit.“

Nun ist zwar Kosack offenbar einer von den Guten, aber da hatte er vielleicht ein bißchen dick aufgetragen. Denn für die Pläne gab es nicht nur Lob: Weil die Projekte mit einem geringeren Budget als üblich versehen sind, kam der Vorwurf, Pro Sieben und Sat.1 wollten sich am Nachwuchs bereichern, indem sie an den Gagen sparen und so bequem und billig ihre besten Sendeplätze füllen.

„Die Annahme ist falsch“, antwortete Kosack darauf in einer Pressemitteilung, die seine Rede zusammenfasst: „Nachwuchsfilme sind für uns nicht ertragreich, es geht hier also nicht um materiellen Gewinn.“ Sat.1 engagiere sich schon länger, nicht nur über die „First Steps“, sondern auch mit Wettbewerben zur Drehbuchentwicklung und Preisen für die Stoffentwicklung „an diversen Filmhochschulen“. Die neue Initiative ist da nur ein weiterer Schritt. Mit der Ludwigburger Produktionsfirma Zum Goldenen Lamm wird gerade der erste Film fertiggestellt, zwei weitere sind in Vorbereitung – einer mit Wiedemann & Berg, einer mit Teamworx. Der erste soll noch im Herbst zu sehen sein: „Die Stimmen der Vergessen“, ein 90minütiger „Mystery-Movie“ für Pro Sieben und das Fernseh-Debüt für den Regisseur Lars Henning Jung, selbst Absolvent der Filmakademie. Für Jung, Jahrgang 1977, ist es der erste Film „in freier Wildbahn“, aber der zweite Langfilm: Sein Abschlußfilm „Höhere Gewalt“ war vor drei Jahren bei den „First Steps“ nominiert.

Gedreht wurde im vorigen Herbst in Stuttgart, 27 Tage lang. Insofern stimmt eigentlich alles, und dass Sat.1 den Nachwuchs fördern will, wie es ARD und ZDF schon länger tun, ist doch eigentlich ein feiner Zug. Es ist auch wenig dagegen einzuwenden, wenn man dafür den „First-Steps“-Pool nutzt – das ist mehr oder weniger auch erklärtes Ziel der Veranstaltung. Trotzdem klagt Kosack, man bemerke „immer ein gewisses Zögern, wenn es um die Teilnahme an diesen Filmen geht.“

Warum? Offenbar misstraut man dem Geld, wie sein „Appell an alle Darsteller, aber auch an ihre Agenten, Manager und an alle Caster“ verrät: „Gebt uns dieselbe Chance wie den Öffentlich-Rechtlichen und spielt auch bei uns für eine geringere Gage bei einem erfolgversprechenden Projekt. Helft uns, dem Nachwuchs zu helfen. Und das zur besten Sendezeit.“

Da wird er am Ende zwar wieder ein bisschen dramatisch, aber die Aussage finde ich doch recht aufschlussreich. Besser gesagt, ich war hin- und hergerissen. Prinzipiell finde ich es nämlich gut, wenn der Nachwuchs und überhaupt alle anderen auch Chancen bekommen, da muss das nicht mal eine Herzensangelegenheit sein. Und gut finde ich auch, wenn sich Sat.1 als – meines Wissens – erster Privatsender die Chancenförderung für den Nachwuchs so zu Herzen nimmt. Denn das müsste man ja nicht tun. Ein Privatsender hat ja nicht mal, wie man leicht sehen kann, einen Kulturauftrag (obwohl, wie ich gerade feststelle, die richtig schlimmen Sachen eh bei der Konkurrenz laufen), sondern nur einen: Geld zu verdienen. Nichts weiter. Das kann man blöd finden oder ändern wollen, aber Sat.1 hat sich das System auch nicht ausgedacht.

Auf der anderen Seite wird mir immer ganz komisch, wenn ich etwas von „geringeren Gagen“ höre, erst recht, wenn im gleichen Satz ein Wort wie „erfolgversprechend“ auftaucht. Oder „wichtig“, „neuartig“, „schön, wahr, gut“… (und demnächst werde ich mal einen Blog zur Frage schreiben, ob wahre Kunst wirklich nur entsteht, wenn die Künstler richtig leiden oder ob das nur ein praktisches Klischee für Honorarverhandlungen ist, versprochen). Klar bringt jeder wahre Künstler gerne Opfer, damit wahre, große Kunst entstehen kann. Die Münchner Produktionsfirma Wiedemann & Berg, die hier auch wieder mitmischt, hat das ja schon mal bei einem Spielfilmdebüt vorgemacht und damit Großes vollbracht – sieben LolasCésarBaftaGuldbaggeRobert, drei Europäische Filmpreise und den Oscar hat das „Das Leben der Anderen“ erhalten. Seitdem sind die Produzenten gut im Geschäft und konnten auch öffentlichkeitswirksam Fördermittel zurückzahlen, der Nachwuchsregisseur dreht in Hollywood mit idealer Besetzung, sein Beleuchter aber nicht.

Man muss anerkennen, dass die beiden Produzenten sich da auf ein Projekt eingelassen hatten, das kaum einer für erfolgversprechend gehalten hatte. Das taten allerdings auch andere Beteiligte, indem sie sich auf geringere Gagen einließen. Rückstellungen gab’s ja keine, wie die Produzenten in „cinearte“ 120 erklärt hatten. Und, um dem Idealismus noch eins draufzusetzen: Nein, er habe nach dem unerwarteten Erfolg keine Nachvergütung erwartet, erklärte mir neulich jemand aus der Crew, der ebenfalls zur geringeren Gagen dem Nachwuchsfilm geholfen hatte. Aber über eine kleine Team-Party nach dem Oscar-Gewinn hätte man sich schon gefreut…

Nun war Wiedemann & Berg damals eine noch recht junge Produktionsfirma, die zwar einige beachtliche Kurzfilme produziert hatte und mit „Das Leben der Anderen“ selbst ihr langes Kinodebüt vorlegte und noch zu strampeln hatte. Bei einem großen Sender wie Sat.1 sieht die Sache aber doch ein bisschen anders aus. Da klingt die Aufforderung, ein wenig zurückzustecken, um bei etwas Großem mitzuwirken, doch stark nach dem, was Berufseinsteiger gerne beim Vorstellungsgespräch zu hören bekommen (und man kann sein halbes Leben nach diesem Prinzip verbringen, wie nicht nur Dauerpraktikanten erfahren: Auch mancher Filmschaffende hat ja seine Probleme mit der Marktwirtschaft).

Zumal das „erfolgversprechende Projekt“ ja nicht irgendein ambitioniertes Wagnis ist, daß der Filmemacher da schon jahrelang am Herzen trägt, das Prime-Time-Publikum aber verschrecken könnte. Nein, „Mystery-Movie“ nennt Sat.1 einen Krimi, der sich alsbald um übernatürliche Vorgänge dreht – was also zur Zeit doch ziemlich in Mode ist. Zweimal im Jahr kann man sich sowas schon mal „zur besten Sendezeit“ leisten, ohne gleich pleite zu gehen. Und, ganz ehrlich, was der Sender da sonst an Eigenproduktionen ausstrahlt, legt die Meßlatte ja auch nicht immer in unerreichbare Höhen.

Hoppla, hier geht’s ja um Pro Sieben. Da läuft um diese Zeit natürlich ganz was anderes.

Vor allem stellt sich aber die Gretchenfrage, warum man sich hier überhaupt so auf die Schulter klopft. „Nachwuchs“ klingt zwar toll nach Talentsuche und -förderung. Aber die hat da doch längst stattgefunden. Nach dem Selbstverständnis deutscher Filmhochschulen verlassen vollends ausgebildete Regisseure, Produzenten und Drehbuchautoren ihre Ausbildungsstätten, oft sogar mit ihrem ersten Langfilm als Abschlussarbeit. Manchem mag die Berufspraxis unter realen Bedingungen fehlen – doch es sind Berufseinsteiger, kein Nachwuchs mehr. Es sei denn, die Filmhochschulen hätten ein wenig übertrieben, dann müsste man sich freilich fragen, was die ganze Ausbilderei überhaupt soll.

Wenn es aber um den Berufseinstieg geht, ist es doch eigentlich normal, wenn ein Regieneuling seinen ersten Spielfilm inszeniert, und liegt im Interesse jedes Auftraggebers, der sich das neue Talent hoffentlich vorher genauer angesehen hat, ehe er ein Budget auf es setzt. Auch Lars Henning Jung  hat schon einiges vorgewiesen, und schließlich steht der „Nachwuchs“-Regisseur nicht allein am Set. Auch bei „Die Stimmen der Vergessen“ hat er Heads of Department mit langen Filmografien zur Seite. Man muss sich deshalb also nicht gleich loben. Der Kameramann, der einen neuen Materialassistenten anheuert, feiert sich ja auch nicht als Nachwuchsförderer (obwohl das in diesem Fall sicherlich angemessener wäre).

Bei den kommenden beiden Projekten sieht es schon anders aus. Die nämlich entstehen tatsächlich während des Studiums über den Stoffwettbewerb an der Ludwigsburger Filmakademie, erklärte Kosack meiner Kollegin Tina Thiele: „Wir haben die Studenten aufgefordert, für diese Sendeplätze Genre- beziehungsweise Mainstream-Stoffe zu entwickeln. Diesen Preis gibt es jährlich, der ist auch dotiert, und so kommen wir in den Kontakt zu Stoffen und zu Studenten, die sich vielleicht weniger im Arthaus-, sondern mehr im narrativen Mainstream-Kino tummeln. Das Ganze ist schon auf mehrere Jahre angelegt, es geht um wirklich nachhaltiges Arbeiten.“

Die Drehstartmeldungen für die beiden Projekte sind noch nicht raus, ich wollte aber schon wetten, dass sie kein Student inszeniert und auch über die Drehbücher nochmal ein erfahrener Autor oder Dramaturg drübergeht, als ich einen der Titel erfahren habe. Und siehe da (zum Glück gibt es ja eine zuverlässige Datenbank): Ganz falsch lag ich nicht. Nicht nur die Verantwortlichen für Casting und Szenenbild haben eine lange Filmografie, sondern auch Regisseur und Kameramann, auch wenn die anscheinend beide noch studieren. Beide haben für ihre Arbeiten schon Preise gewonnen, der Regisseur unter anderem auch bei „First Steps“. Und sein „Koautor“ ist alles andere als unbekannt, sondern im deutschen Fersehkrimi ziemlich gegenwärtig, was doch recht erfolgversprechend klingt. Das Risiko zur besten Sendezeit lässt sich also kalkulieren, wenn der Nachwuchs nur die Ideen liefert, die Stoffe dann von Profis weiterentwickelt werden. Auch eine Form von nachhaltigem Arbeiten.

Die Budgets seien ähnlich wie beim Kleinen Fernsehspiel des ZDF oder dem Debüt im Ersten. „Genauso sind dann auch die Gagengefüge“, sagt Kosack. Allerdings überlege man, auch wegen der Kritik von Agenten und Schauspielern, wie man bei Erlösbeteiligung und Rückstellungen nachbessern könne.

Das ist zwar noch recht vage formuliert, in einem hat Kosack freilich recht: Wer all das bei den Öffentlich-Rechtlichen akzeptiert, darf bei Sat.1 nicht wegen der Gage meckern.

Weshalb ich mir zum nächsten Mal die Sender mit Kulturauftrag anschaue.

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