Independentfilme: Der Mythos von der Unabhängigkeit

Das waren noch gute wilde Zeiten: Tom DiCillo (links) und ein sehr junger Brad Pitt in seiner ersten Hauptrolle bei den Dreharbeiten zu „Johnny Suede“ 1991. | Foto © Filmfest München

Das Münchner Filmfest ist zu Ende und mit ihm der Independentfilm. So ist das jedes Jahr, weil sich das zweitgrößte Festival der Republik schon sehr früh dieser Spielart des US-Kinos mit einer eigenen Programmreihe verschrieben hat. Regisseure wie Steven Soderbergh, Jonathan Demme, Richard Linklater, die Coen-Brüder oder Tom DiCillo hatten sich hier erstmals einem größeren und internationalen Publikum vorgestellt.

Independentfilm – das klingt aber auch toll. Eben nach Freiheit und lauter jungen Idealisten, die einfach mal ihr Ding durchziehen. Unabhängig von großen Konzernen, Multis, Global Playern und was sonst noch den Kapitalismus verdächtig macht. Nicht fürs Geld, sondern wegen der tollen Idee. Ein wenig Erfolg kann trotzdem nicht schaden, weshalb so manches Independent-Start-up inzwischen selbst ein Global Player ist. Der Nimbus von einst strahlt immer noch, in allen Branchen: Apple, Starbucks, Body Shop, Virgin…

Den Filmemachern geht es auch nicht anders. Soderbergh, Demme, Linklater, die Coens und viele andere sind längst bekannte Namen auch fürs nicht ganz so spezialisierte Publikum. Tom DiCillo vielleicht weniger, dabei hätte er einiges zu erzählen, wie nicht nur die Retrospektive des Filmfests in diesem Jahr zeigte. Etwa, warum es mit dem Independentfilm tatsächlich zu Ende ist: Er sei gestorben, „als er begann, die gleichen Götter wie Hollywood zu verehren: Die Kinokasse und das Startwochenende; Zahlen, Dollar, Zahlen“, sagt der Schöpfer von „Living in Oblivion“ im Interview: „Heute gibt es in den USA keinen Independent-Film mehr. Das ist längst Indiewood oder Hollydent geworden, je nachdem, welchen Ausdruck man über die Lippen bringt ohne vor Wut auszurasten oder in Tränen auszubrechen.“

Muss man aber nicht: „Der Independentfilm ist nicht tot. Aber manchmal muss man ein paar Steine umdrehen, um ihn zu finden“, widersprach in München Amy Seimetz, Filmemacherin der nächsten Generation, die je nach Bedarf mal inszeniert, produziert, beim Kostümbild oder hinter der Kamera aushilft oder öfter noch als Schauspielerin davorsteht – ziemlich independent eben.

Im Grunde ist das normal. Wer sich nicht gerade mit einem Reisekoffer voll Geld in Hollywood oder sonstwo eingekauft hat, um sich einen seiner Träume zu erfüllen, wie der Milliardenerbe Howard Hughes, fängt mal klein an. Und mit dem Erfolg kommen die Möglichkeiten, mit größeren Budgets und Teams zu arbeiten. Letztlich ist auch Hollywood selbst das Ergebnis vieler Independent-Bewegungen, die sich mit jeder Generation wiederholten, wie wir in „cinearte XL 013“ auf Seite 109 schon mal dargestellt hatten. Und letztlich ging es immer um den Widerspruch von Kunst und Geld, neuen Ideen und alten Strukturen. Ob Geld tatsächlich den Charakter verdirbt und Kunst leiden muss, um wahrhaftig zu sein, diskutieren wir ein anderes Mal. Künstler wie Julian Schnabel oder John Ford, die mit einem Reisekoffer voll Geld ihren Traum vom Filmemachen recht unabhängig erfüllen konnten, sind mit ihren Ergebnissen jedenfalls wohlwollend aufgenommen worden.

Trotzdem umweht die „Indies“ der Mythos von der wahren Filmkunst, dem sich auch die Wikipedia nicht entziehen will: Sie seien „zumeist ,kleine‘ Filme: Sie sind mit geringem Geldeinsatz und unter hohem Zeitdruck hergestellt, dafür gehen sie kreativ mit ihren Geschichten um und erzählen, ohne den Hollywood-Erzählmustern zu folgen.“

Das klingt toll, nach Herzblut, Low-Budget und Autorenfilm, die da munter mithineingemengt werden und gerade in Europa die Herzen schneller schlagen lassen. Dabei sagt der Begriff „Independent“ nicht mehr und nicht weniger, als dass die Werke ohne Mitwirkung der großen Studios von Hollywood entstanden sind. Als Qualitätskriterium taugt das wenig. Allerdings als Marke. Und deshalb haben die großen Studios von Hollywood auch längst eigene „Independent“-Töchter, die deshalb natürlich keine mehr sind: Walt Disney kaufte Miramax, 20th Century Fox gründete Searchlight, MGM schickte die Tochter United Artists wieder auf den Independentfilmmarkt, Warner Brothers hat New Line. Weniger wegen des Autorenfilms oder seines Herzbluts, sondern wegen der Low-Budget-Idee: Für die eigenen Produktionen sind die Studios an Vereinbarungen mit den Gewerkschaften der Filmbranche gebunden, von denen hiesige Filmschaffende nur träumen können. Bei ihren „Indies“ sind sie freier und dürfen jeden anstellen – zu ihren Arbeitsbedingungen und Gagen.

Die Budgets sind deshalb nicht unbedingt geringer. „Der englische Patient“ und die Trilogie „Der Herr der Ringe“ sind solche Produktionen. Und unabhängig ist bis heute der größte Independent-Filmer von allen: George Lucas hat um seine Krieg-der-Sterne-Trilogien eine Galaxie aus Studios und Firmen gebaut, um sich die kreative Unabhängigkeit zu sichern.

Aber auch durchschnittliche US-Indies hantieren mit Budgets, von denen eine vergleichbare deutsche Großproduktion nur träumen kann, der es natürlich erstmal um Kreativität und die Geschichte geht und dann erst um den Erfolg. So gesehen sind wir also alle Independent-Filmer. Ausgenommen vielleicht, wenn man im Auftrag des Fernsehens produziert. Oder Filmförderung beantragt…

Man muss wohl doch noch ein paar Steine umdrehen, um den echten deutschen Independentfilm zu finden.

2 Kommentare
  1. René Sydow sagte:

    Nun, es gibt sie schon, die deutschen Independent-Filmer ohne Fernsehsender und Förderung, die für gerade mal 30.000 Euro ihre eigenen Filme stemmen – nur leider zeigen auch Festivals diese Filme nur selten, selbst wenn die Kritiken gut und förderlich sind.
    Es liegt also vielleicht eher an der Verleihstruktur, denn kein Sender oder Verleiher möchte einen Indie-Film zeigen, der nicht mal Verleihförderung oder eine andere Versicherung im Gepäck hat.
    Also bleibt dem Haufen Idealisten nur: Weitermachen!
    R.Sydow; Indie-Filmer und Dozent für Filmgeschichte, Dramaturgie, Regie

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