Kunst oder Kommerz, wo arbeiten die Filmfrauen?

Eine Auswertung von künstlerischen und kommerziellen Filmproduktionen für Kino und Fernsehen. Von Belinde Ruth Stieve. Schauspielerin. Berlin.

Letztes Jahr gerieten die Filmfestspiele von Cannes u.a. deshalb in die Kritik, weil im Wettbewerb kein Film einer Regisseurin nominiert wurde. Aber eigentlich war das keine so große Überraschung, denn in Cannes laufen überwiegend Filme von Männern, und erst einmal hat eine Frau die goldene Palme, die seit 1955 verliehen wird, gewonnen: die Neuseeländerin Jane Campion 1983 für Das Piano. Eine andere Regisseurin, die Dänin Bodil Ipsen, hatte 1946 gemeinsam Ko-Regisseur Lau Lauritzen Jr. für den Film Rote Wiesen den Grand Prix erhalten. In diesem ersten Wettbewerb der Filmfestspiele wurden 11 der 43 Wettbewerbsbeiträge gleichberechtigt ausgezeichnet. Neben Ipsen war noch die portugiesische Regisseurin Bárbara Viginia im Wettbewerb dabei.

2013 lief der Film einer Regisseurin im Wettbewerb: Un Château en Italie / A Castle in Italy, von der Italo-Französin Valeria Bruni Tedeschi, neben 19 Filmen von 20 Regisseuren. Und wie sah es sonst hinter der Kamera aus? Dafür habe ich den 6-Gewerke-Check durchgeführt, bei dem ich den Frauenanteil bei Regie, Drehbuch, Produzent/in, Kamera, Ton und Schnitt für die Gesamtheit einer Gruppe von Filmen – in diesem Fall um die Goldene Palme – ermittle. Hier die Werte für die 20 Wettbewerbsfilme:

Regie: 5 %
Drehbuch: 15 %
Produzent/in: 20 %
Kamera: 10 %
Ton: 13 %
Schnitt: 44 %

Die 50 %-Marke wird lediglich beim Schnitt annähernd erreicht, die übrigen Werte liegen unter 25 %. Die Kamerafrau Jeanne Lapoirie fotografierte zwei Filme (Michael Kohlhaas und Un Château en Italie). In 5 der 20 Filme waren gar keine Frauen in den 6 Gewerken verantwortlich, das waren die Filme der Regisseure Alex van Warmerdam (Borgman), Ethan & Joel Coen (Inside Llewyn Davies), Alexander Payne (Nebraska), Jim Jarmusch (Only Lovers Left) und James Gray (The Immigrant).
Mit den Filmen des Cannes-Wettbewerbs habe ich mich ausführlicher in meinem Blog beschäftigt.

Stellen wir vergleichend den Wettbewerb der diesjährigen Berlinale daneben. 3 Regisseurinnen und 17 Regisseure konkurrierten um die Bären, 3 von ihnen – Boris Khlebnikov (Dolgaya schastlivaya zhizn / A Long and Happy Life), Fredrik Bond (The Necessary Death of Charlie Countryman), Jafar Panahi und Kamboziya Partovi (Pardé / Closed Curtain) und Gus van Sant (Promised Land) hatten in den 6 Gewerken keine Frauen an verantwortlicher Stelle.
Es fällt ein wenig auf, dass zumindest die in den Internationalen Festivals laufenden Filme aus den USA hinter der Kamera häufig reine Männersache sind. Ein Blick auf die diesjährigen Oscarnominierungen in der Kategorie Bester Film findet eine Regisseurin und acht Regisseure, zwei Filme hatten im 6-Gewerke-Check eine Null, Argo von Ben Affleck und Life of Pi von Ang Lee.

Einen etwas graphischeren Eindruck bietet Abbildung 1, die den 6-Gewerke-Check für 2 Festival Wettbewerbe und 2 nationale Filmpreise / die Nominierungen für Bester Spielfilm zeigt: Cannes (20 Filme), Berlinale (19 Filme), Oscars / Academy Awards Nominierungen (9 Filme) und Lolas / Deutscher Filmpreis-Nominierungen (6 Filme).

Bis auf  den Bereich Ton sind in jedem dieser Gewerke in den Lola-Nominierungen auch Frauen verantwortlich, beim Schnitt waren es 63 %, bei Regie und Drehbuch um die 40 %, weit mehr als bei den 3 anderen Film-Gruppen.

Diese und auch die folgenden Statistiken sollen aber nicht zur Forderung einer Zwangsquote führen. Natürlich (bzw. hoffentlich!) können alle Regieleute mit den Teams arbeiten, die sie sich wünschen, ihre Auswahl bzw. die Teamzusammenstellungen durch die Produktionen haben logischerweise nicht das Ziel einer Geschlechtergerechtigkeit. Ob Filmemacherinnen in der Branche benachteiligt sind lässt sich aus den Zahlen auch nicht ablesen. Nur so viel als Fazit – und das soll noch nicht verallgemeinert werden: Regisseurinnen arbeiten nicht nur mit Frauenteams und Regisseure nicht nur mit Männerteams. Allerdings haben die Filme von Regisseurinnen tendenziell mehr Mitarbeiterinnen als die ihrer Kollegen, d.h. irgendwo auf der Welt gibt es Kamerafrauen, Drehbuchautorinnen, Produzentinnen, Cutterinnen und Tonmeisterinnen, die auf höchstem internationalen Niveau arbeiten können. Aber sind sie so häufig vertreten, wie es beispielsweise ihrem Anteil in der jeweiligen Berufsgruppe entspräche?

Vor einigen Wochen hatte ich in meinem Blog SchspIN einen ersten ausführlicheren Crew Count veröffentlicht, dort hatte ich die 6 filmpreisnominierten Filme 2013 („Bester Film“) mit den Top 6 an den Kinokassen 2012 im 6-Gewerke-Check verglichen.
Vielleicht nicht wirklich überraschend kam heraus, dass in den Kinokassenschlagern, also in Filmen mit tendenziell größeren Budgets, wesentlich weniger Frauen in den 6 Gewerken verantwortlich sind als bei den Filmpreisnominierungen. Natürlich ist auch dieser Vergleich von zwei 6er-Gruppen nicht repräsentativ, und außerdem – wie zu Recht kommentiert wurde – müssen die Frauenanteile in den Produktionen vor dem Hintergrund der Frauenanteile in den Gewerken allgemein betrachtet werden. Und deshalb habe ich einen Crew Count der erweiterten Art durchgeführt, eine gründlichere und somit auch signifikantere Auswertung, in der ich kommerziell mit künstlerisch erfolgreichen Filmproduktionen im Kino und TV vergleiche. Für diese vier Gruppen untersuche ich jeweils die gleiche Anzahl von Filmen, nämlich 17. Warum 17? 17 Filme waren 2013 insgesamt im fiktionalen Bereich für den Deutschen Filmpreis nominiert, also sowohl für Bester Film als auch z.B. für die Beste Kamera. Ebenso waren es 17 Filme, die in den Nominierungen für den Grimme Preis 2013 im fiktionalen TV-Bereich auftauchten. Diesen habe ich die Top 17 an den Kinokassen 2012 und die Top 17 bei den TV-Quoten 2012 gegenübergestellt, so sind alle Gruppen gleich groß. Darüberhinaus habe ich den 6-Gewerke-Check auf 11 Gewerke erweitert, diese sind Regie, Drehbuch, Produktion, Kamera, Ton, Szenenbild, Kostümbild, Maskenbild, Schnitt und Besetzung.

Der Frauenanteil unter den in einem Gewerk Aktiven soll Referenzgröße sein. Nur, wie viele Menschen arbeiten in Deutschland in den jeweiligen Gewerken? Keine Ahnung. Näherungswerte liefern die Datenbank von crew united (Herzlichen Dank an Frau Heike Matlage für die freundliche Unterstützung!) und natürlich auch die Mitgliederverzeichnisse der Berufsverbände. Abbildung 2 zeigt die absoluten Zahlen, d.h. wie viele – weibliche und männliche – Filmschaffende insgesamt in den Berufsverbänden und in der Crew United Datenbank vertreten sind, und wie groß der prozentuale Anteil der organisierten Filmschaffenden ist:

Ein Wert fehlt in der Tabelle: die Anzahl der Produzent/innen in den Berufsverbänden. Das liegt daran, dass in der Produzentenallianz und dem Verband Deutscher Filmproduzenten (so heißen die offiziell) keine Einzelpersonen sondern Produktionsfirmen Mitglieder sind. Eine Auswertung, wer jeweils Chef/in ist in den 300+ Firmen, steht noch aus.

Die Mitgliederzahlen der Verbände liegen erwartungsgemäß teilweise weit unter der Anzahl der crew united Datenbankeinträge. Einzige kuriose Abweichung gibt es im Drehbuchsektor, dort sind weniger Autor/innen bei crew united gemeldet als in den Verbänden organisiert sind.
Soviel zur Referenzgröße, zurück zum Crew Count. Der einzige Eintrag (d.h. die verantwortliche/n Person/en in einem Gewerk), der in der umfangreichen Tabelle fehlt, ist der für das Szenenbild bei einem der TV-Quoten-Filme, einem Tatort.
Alle übrigen 4 x 17 x 11 = 747 Felder sind ausgefüllt, also eine ganz gute Ausgangslage für eine statistische Auswertung.
Ich hatte vermutet, dass es klassische Männer- und Frauengewerke geben würde, warum auch immer, und das hat sich bestätigt. Zu letzteren hätte ich auch den Schnitt gezählt, aber dort hat sich in den letzten Jahren etwas verändert. Eine Verbandsvertreterin erzählte mir kürzlich, dass seit einigen Jahren mehr Männer in diesen Beruf dazu gestoßen sind, genaugenommen ab dem Moment, in dem der Film und somit auch der Schnitt digital wurden.
Meine zweite Hypothese war, dass bei den Kinokassenerfolgen der Frauenanteil in den Männergewerken noch niedriger sein würde als in den eher künstlerischen Filmen (das ist jetzt eine grobe Verallgemeinerung: Kommerz = Kassenerfog, Kunst = Filmpreisnominierung). Für das Fernsehen hatte ich eine ähnliche Erwartung, vor allem auch, da 16 der Top 17 Quotenfilmen Tatorte waren (der 17. war ein Polizeiruf) – ich erwartete auch eher stark männerdominierte Teams.

Und hier nun das Ergebnis, Abbildung 3. Die blauen Säulen für Kinofilme, die orangen für Fernsehproduktionen, die dunklen für Kassenerfolg und Quote, die hellen für Film- bzw. Grimmepreis. Der kleine grüne Kreis zeigt den Frauenanteil im Berufsverband, die rosa Raute den Wert von crew united.

In  4 der 11 Gewerke sind mehr Frauen als Männer in der crew united Datenbank gemeldet: Szenbild, Kostümbild, Maskenbild und Casting.

In 4 Bereichen gibt es weniger als 25 % Frauen (Regie, Kamera, Ton, Musik), und in 3 Bereichen liegt der Frauenanteil zwischen 25 und 50 % (Buch, Produzent/in, Schnitt).

Und wie wurde gearbeitet? Keine Frau war verantwortlich für den Schnitt und keine Frau an der Kamera bei den Kinokassenerfolgen! Auch gab es gar keine weiblichen Verantwortlichen für Ton in der Kinogruppe – was jedoch weniger erstaunt, angesichts der sehr niedrigen Frauenanteile im Verband (2,5 %) und bei crew united (4 %).

Luft nach oben besteht weiterhin im Regie- und Drehbuchbereich, dh. der Frauenanteil bei den Berufstätigen liegt über denen im Gewerke-Check. Einzige Ausnahme: die Regisseurinnen unter den Filmpreisnominierungen, das waren diesmal 6 gegenüber 14 Regisseuren.

Es ist ein – auch internationales – Phänomen, dass Filme mit hohem Budget Regisseurinnen nicht anvertraut werden – über die Gründe gilt es zu sprechen. Aber wie ist der niedrige Anteil von Regisseurinnen im TV-Bereich zu erklären? Wird die Realisation von Krimis, einem Männergenre (90 % der  Mord- und Totschlagdelikte in Deutschland werden von Männern begangen) – eher Männern zugetraut? Und das in allen Gewerken? Denn in diesem Genre ist selbst der Wert fürs Maskenbild wesentlich niedriger als in den anderen 3 Gruppen. Oder sind dafür auch noch Angaben dazu erforderlich, wie viele Maskenbildner/innen bei Sendern angestellt sind?

Und schließlich die Filmmusik – ja, was ist da zu sagen? Nur in einer der 4 x 17 Produktionen war eine Frau verantwortlich: Nicole Piovani (Sams im Glück). Machen Frauen weniger Musik, bzw. wollen oder können sie nicht komponieren?

Ich sollte an dieser Stelle vielleicht noch einmal erwähnen, dass ich Schauspielerin bin. Das heißt ich kenne zwar alle untersuchten Gewerke aus der Arbeit, und natürlich auch über den Austausch mit Kolleg/innen. Allerdings finde ich es sinnvoller, wenn Erklärungen und Theorien zu den Ursachen dieser großen Unterschiede in den Frauenanteilen der Gewerken von Anderen kommen.

Erste Fragen wären: sind Männer wirklich nicht am Kostümbild interessiert und Frauen nicht am Tondesign? Wie viele Männer und Frauen werden überhaupt in den Gewerken ausgebildet, wie viele schaffen es in die Berufstätigkeit, und wenn sie es nicht schaffen, woran liegt das? Warum wird der Schnitt eines teuren Kinofilms einer Frau nicht anvertraut, und warum die Regie auch so selten? Warum können / dürfen Kamerafrauen einen Tatort filmen aber keinen erfolgreichen Kinofilm? Und was ist los mit der Musik?

Bitte, die Diskussion ist eröffnet.

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