cn-special: Around the World in 14 Films 2014 – Sieben Fragen an Festivalleiter Bernhard Karl

Titelseite des diesjährigen Programmheftes

Vom 28. November bis 7. Dezember 2014 werden 14 (+6) cineastische Höhepunkte des jungen Weltkinos aus 14 Ländern in Berlin gezeigt. Wir sprachen mit dem Festivalleiter über das cineastische Jahr 2014 in all seinen Facetten und das aktuelle Festivalprogramm.

STECKBRIEF BERNHARD KARL
Konzept, Leitung und Programm

© Christian Riss

Studium der Kunstgeschichte, Regieassistent an der HFF München und an den Münchner Kammerspielen bei Dieter Dorn und Peter Zadek, als Theaterregisseur Inszenierungen in Ulm, Oberhausen, Zürich und Berlin, seit 2001 Arbeit als Casting Director bei Anja Dihrberg. Seit 2008 Internationaler Programm-Kurator bei Filmfest München. Seit 2012 Leitung F.I.N.D.plus an der Schaubühne Berlin.

 

Welche Filmregion hat Dich 2014 besonders beschäftigt?
Das Kino Osteuropas. Wie so häufig ist die kreative Vielfalt im osteuropäischen Kino Ausdruck eines umgreifenden gesellschaftlichen Wandels, was nicht nur die erweiterte Aufarbeitung der Vergangenheit betrifft, sondern auch der Gegenwart. Bestes Beispiel dafür ist unser russischer Eröffnungsfilm „Leviathan“ Andrey Zvyagintsev, der ein unhaltbar korruptes amoralisches Gesellschaftsgefüge im Heute zeigt, das so keine Zukunft mehr haben kann.

Dein Lieblingsfilm 2014?
Wie immer: mehrere. Und natürlich genau die 20, die in diesem Jahr bei uns im Programm sind (lacht). Aber – die Länge ist hier auch Programm: Wer die 5 Stunden und 40 Minuten von Lav Diaz’ Gewinnerfilm von Locarno „From What is Before“ erlebt hat, wird mir zustimmen. Das ist vielleicht das größte Kinoerlebnis des Jahres. Es stellt sich aber nur mit etwas ein, was auch mir in dieser Zeit oft schwerfällt – mit anachronistischer Geduld!

Wer gehört zur Zielgruppe des Festivals?
Eigentlich Alle. Natürlich, wer kein Englisch spricht, oder nicht englisch lesen kann, und keinerlei Er-fahrung mit komplexeren filmischen Erzählweisen hat, wird es bei uns schwer haben. Man wünscht sich mehr Interesse bei den Menschen, die sonst nicht ins Kino gehen und hier das besondere Live-Erlebnis suchen. Um diese zu gewinnen, bedürfte es mindestens eines zentralen Beitrags in den „Tagesthemen“, am besten am Sonntag vorm „Tatort“ (lacht), oder einer flächendeckendende Berichterstattung.

Die Überraschung des Jahres?
„The Tribe“ aus der Ukraine. Ein Erstlingswerk. Jetzt auch nominiert als „European Discovery“ bei den European Film Awards. Ein Film, der 130 Minuten komplett in Gebärdensprache erzählt wird. Ohne Untertitel. Ein Film, der zu den Wurzeln des Kinos zurückführt und in seiner Zeichnung einer unzivilisierten, verrohten Gesellschaftsorganisation fast archaisch wirkt.

Welcher Schauspieler oder Schauspielerin hat Dich 2014 nachhaltig berührt?
Melisa Sözen, die in Nuri Bilge Ceylans „Winterschlaf“ mit wenigen Auftritten das gesamte weibliche Geschlecht zu verkörpern scheint, und dem vergleichsweise dumpf-verkopft-eitlen „Männlichen“ widersteht und die 17-jährige Jun Yoshinaga, die in Naomi Kawases naturmystischem Bilderkosmos „Still the Water“ pure Liebe verkörpert. Außerdem das gesamte US-Männerensemble in Bennett Millers „Foxcatcher“.

Dein Nachwuchstalent im Bereich Regie 2014?
Der israelische Filmemacher Nadav Lapid, der mit seinem zweiten Film „The Kindergarten Teacher“ die für mich künstlerisch schlüssigste Antwort auf die Aporie des Nahost-Konflikts formuliert. Menschen wie sein Protagonist führen keine Kriege.

Welche Tendenzen erkennst Du im Weltkino des Jahres 2014?
Das künstlerische Kino ist mehr denn je Ausdruck der gesellschaftlichen Pressionen in der Folge des kapitalistischen „Freibriefs“ nach dem Kollaps der weltweit relevanten kommunistischen Regimes.
Sagen wir es lakonisch: Es geht eben nur ums Geld. Mit Geldproblemen ist oft die Totalerosion von spirituellen Inhalten verbunden, von fundamentalistisch pervertierten Glaubensideen gar nicht zu sprechen. Das künstlerische Kino versucht, manchmal fast zu häufig, eine quasi-Realität wiederzugeben. Deshalb kommt jeder zweite „Festivalfilm“ von der Erzähl- und Bildgestaltung her, meist „dokumentarisch“ daher.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview erschien am 19. November 2014 im cn-special von casting-network!
Website: www.14films.de

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