Die Filmerzähler: 30 Jahre VDD

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Jedes Jahr zur Berlinale vergibt die Kulturstaatsministerin den ,Deutschen Drehbuchpreis‘. Vor dem Empfang haben die Drehbuchautoren dann aber schon den ganzen Tag lang über weniger schillernde Themen diskutiert, erklärt VDD-Geschäftsführer Jan Herchenröder (Mitte). | Foto © Christine Kisorys

Jedes Jahr zur Berlinale vergibt die Kulturstaatsministerin den „Deutschen Drehbuchpreis“. Vor dem Empfang haben die Drehbuchautoren dann aber schon den ganzen Tag lang über weniger schillernde Themen diskutiert, erklärt VDD-Geschäftsführer Jan Herchenröder (Mitte). | Foto © Christine Kisorys

Herzlichen Glückwunsch, Herr Herchenröder. Der Verband Deutscher Drehbuchautoren (VDD) wird 30. Allerdings hört man von ihrem Verband weniger als von anderen. Einmal im Jahr schaut die Kulturstaatsministerin vorbei und vergibt den „Deutschen Drehbuchpreis“, und das war’s auch schon. Ist die Drehbuchwerkstatt die letzte Idylle im Filmland?

Zunächst herzlichen Dank für den Glückwunsch. Die Verleihung des Deutsche Drehbuchpreises im Rahmen des VDD-Empfangs während der Berlinale ist sicherlich der Leuchtturmevent in unserem Jahreskalender. Er bildet regelmäßig den Abschluss eines langen Verbandstags mit intensiven Diskussionen auf unserer jährlichen Mitgliederversammlung. Wie in der ganzen Branche, ist der Spardruck der öffentlich-rechtlichen Sender und die wachsende Schere zwischen Leistungsanspruch und Honoraren dabei ein bestimmendes Thema. Es geht aber auch um die Forderung eines dringend notwendigen Paradigmenwechsels in der Stoffentwicklung, um Drehbuchförderung, Digitalisierung, nationale und internationale Medienpolitik, das Urheberrecht, soziale Absicherung, um Maßnahmen zur Nachwuchsbindung.

Neben den politischen Herausforderungen stellen wir uns in unseren öffentlichen Veranstaltungen drehbuchspezifischen Themen. 2016 waren wir präsent unter anderem auf dem Film Festival Cologne, auf dem Medienforum NRW, dem Film Fest Hamburg, der Berliner Tagung Film-Stoff-Entwicklung. Im Rahmen des Fünf-Seen-Film-Festivals hielten wir zum fünften Mal die publikumswirksame Veranstaltungsreihe „Fokus Drehbuch“ ab. Nicht zu vergessen die Exposé-Förderung, die wir seit drei Jahren gemeinsam mit Pro Sieben Sat.1 ausschreiben.

Darüber hinaus setzen wir uns für die Interessen der Drehbuchautoren in der FFA ein, auf Fachpanels, bei Anhörungen im Bundestag, in Gesprächen mit der Politik und verhandeln mit Sendern und Produzenten über Honorarrahmen. Wir sind also nicht weniger unterwegs als „die Anderen“.

Wie bei der Filmproduktion bleiben die Autoren auch im wirklichen Leben abseits von den anderen. Mit der Bundesvereinigung Die Filmschaffenden haben Sie nichts zu tun, und auch sonst ist wenig von gemeinsamen Aktionen mit anderen Berufsverbänden zu vernehmen.

Eine steile These – vielleicht sollten wir Sie mal zu einem unsere Jour Fixes einladen, damit Sie Autoren im wirklichen Leben begegnen.

Um die These zu widerlegen: Autoren bleiben nicht immer aus Eigenantrieb abseits des Sets, man schließt sie meist strukturell aus – vor allem auch dann, wenn es um Ad-hoc-Anpassungen von Drehbuchpassagen geht, die häufig die Regie vor Ort ohne Rückkopplung mit dem Drehbuchautor vornimmt. Das ist also keine Charakterfrage, sondern ein ärgerlicher Umstand, dem wir entgegenwirken. Zumal, wenn man bedenkt: Bevor sich Menschen überhaupt am Set versammeln können, hat ein Drehbuchautor im Schnitt anderthalb bis zwei Jahre über weite Strecken alleine an einem Spielfilm gearbeitet, dabei einen Teil des finanziellen Risikos getragen und sich all die Szenen ausgedacht, deren Realisierung dann vielen Gewerken eine intensive Zeit der Beschäftigung bringt. Autoren, speziell wenn sie fürs Kino arbeiten, müssen eine lange Strecke gehen, um dann, wenn’s beim Dreh Schwierigkeiten gibt, Änderungen an ihrem Stoff anderen überlassen zu müssen.

Zugleich übersehen Sie, dass gerade bei neuen Serienproduktionen Autoren für sich mehr Entscheidungskompetenz für die Besetzung von Regie und Maincast beanspruchen und durchaus auch direkt am Set mit eingebunden sind.

Der VDD selbst betreibt eine intensive Vernetzung. Wir sind aktiver Part der Initiative Urheberrecht, im Kulturrat und der Deutschen Content Allianz. Bei politischen Vorstößen kooperieren wir häufig auch branchenübergreifend. Dabei kooperieren wir selbstverständlich auch mit Verbänden, die sich unterm Dach der Filmschaffenden befinden. Die Initiativen gehen mal von uns aus, mal von – wie Sie sagen – „den Anderen“. Übrigens haben wir uns erst im Frühjahr 2016 erfolgreich an die Seite von BFFS und Die Filmschaffenden gestellt, als es um die Absicherung der Pensionskasse Rundfunk ging.

Sie schreiben sehr lange an einem Drehbuch. Dann macht ein anderer einen Film draus und schon ist es „ein Film von …“, aber nicht von dem, der es sich ausgedacht hat. Wie viel Leidens­fähigkeit braucht eigentlich ein Drehbuchautor?

Ein Autor oder eine Autorin brauchen zunächst erzählerisches Talent und gute Ideen. Daraus dann über einen langen Zeitraum ein gutes Drehbuch für einen abendfüllenden Film zu entwickeln, braucht Risikobereitschaft, Können und Durchhaltevermögen. Unklare Entscheidungsstrukturen, widersprüchliche Kommentare von Redaktion und Produktion auf einzelne Drehbuchfassungen machen Sensibilität und starke Nerven notwendig. Wenn das Buch dann in die Produktion geht, sind Vertrauen, Hoffnung und Optimismus gefragt.

Was am Ende die Namensnennung angeht, ist pure Leidensfähigkeit weniger hilfreich als eine Rechtsberatung bei der Vertragsverhandlung, durch die genau das „ein Film von …“ ausgeschlossen werden kann. Da die befriedigende Klärung dieser Fragen tatsächlich noch zu stark von der Marktmacht des einzelnen Autors abhängt, setzt sich der VDD weiter dafür ein, dass Mindeststandards für die Autorennennung in Deutschland eingeführt werden.

Sie machen aber eben dies im Jubiläumsjahr zu ihrem neuen Slogan: „Wir erzählen Film.“ Und aus den weiteren Ausführungen schließe ich, dass sich die Drehbuchautoren nicht so richtig gewürdigt fühlen.

Der VDD steht für eine selbstbewusste Autorenschaft. Mit dem Slogan „Wir erzählen Film“ verbinden wir ein entsprechend klares Selbstverständnis. Davon unbenommen gibt es das Grundproblem, dass von der Programmwerbung der Sender, über die Filmkritik bis hin zu Fördernewslettern und Festivalkatalogen die Leistung der Drehbuchautoren nach wie vor zu wenig Berücksichtigung findet, Autorennamen häufig einfach ausgespart werden. Gemessen an der langen Entstehungszeit eines Drehbuchs und seiner Bedeutung als Initial und Basis jeder Filmproduktion ein fortwährender Skandal.

Bei der Entwicklung von Serien scheint ein Umdenken einzusetzen, ausgelöst durch das neue Interesse an den Möglichkeiten filmischer Erzählung.

Natürlich schwärmt auch ihre Berufsgruppe von der Fernsehserie mit ihren „komplexen Erzählstrukturen und faszinierenden, ambivalenten Charakteren“. Warum hat es 30 Jahre gebraucht, um das zu entdecken?

Das ist ein großes Thema. Das serielle Erzählen hat sich in den letzten Jahren erst durch das Aufkommen neuer Technik und neuer Geschäftsmodelle bei der Vermarktung so rasant weiterentwickeln können. Dem Bezahlsender HBO in den USA ist es so beispielsweise gelungen, sehr erfolgreich Programm für eine spitze, sehr solvente, experimentierfreudige und angesichts der Größe der USA dann auch wirtschaftlich relevante Abonnenten-Zielgruppe zu machen. Hier gab es plötzlich eine große Nachfrage an neuen starken Geschichten. Die Komplexität der Dramaturgie konnte dann nochmal zunehmen, als das Programm für die Zuschauer zeitunabhängig zugänglich gemacht werden konnte – Stichwort Video-on-Demand und Netflix, Amazon und so weiter.

Genau genommen ist das aber auch nichts anderes als der Aufstieg der Privatsender vor 25 Jahren. Ändert sich wirklich etwas grundlegend?

Der Aufstieg der Privatsender und deren fiktionale Produktionsoffensive in den 90er Jahren haben ARD und ZDF auch vor inhaltliche Herausforderungen gestellt, aber hier ging es im Wesentlichen doch um eine neue Marktordnung im klassischen Fiction-Markt. Die aktuelle Veränderung liegt in den neuen, non-linearen Rezeptionsmöglichkeiten der Programme, die alle Sender definitiv vor neue, insbesondere auch inhaltliche Herausforderungen stellt. Und diese Herausforderungen sind umso größer, als hier die Amerikaner einen Vorsprung haben und international aufgestellt sind. Wir sind hier am Anfang eines Umbruchs.

Warum erreichen nur wenige deutsche Serien das amerikanische Durchschnittsniveau?

Die Möglichkeiten fiktionalen Erzählens haben in Deutschland zwar ihre finanzielle Kraftquelle, aber leider auch ihre Grenzen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Serien wie „Derrick“ oder „Die Schwarzwaldklinik“ waren zu ihrer Zeit ja durchaus auch international erfolgreich, aber es hat sich nichts Neues entwickelt. Erst durch Serienerfolge wie „Breaking Bad“ oder „Mad Men“, oder, um in die skandinavischen Länder zu gehen, Die Brücke oder Borgen entstand hier das Bewusstsein für die Möglichkeiten hochkomplexen seriellen Erzählens. Im Bereich der Eventserie wird mittlerweile eine hohe Qualität erreicht – siehe „Unsere Mütter, unsere Väter“, „Weissensee“, „Ku’damm 56“ oder im Privatfernsehen „Deutschland 83“. Dennoch gibt es für erzählerische Innovation und Mut noch reichlich Luft nach oben.

Liegt’s am Drehbuch, oder wird das anderswo verdorben?

Das Wort „verdorben“ führt am Problem vorbei. Was fehlt, jenseits höherer Budgets und mehr Programmfläche für hochwertige Serien, ist eine echte Vision vom Programm der Zukunft und erzählerische Neugier. Mut zum Unbekannten, Neuen. Was in dem stark redaktionsgetriebenen System in Deutschland fehlt, ist eine Stoffentwicklungskultur, die den Autoren mehr Unabhängigkeit und Zeit für das Entwickeln von originären Geschichten lässt. Projekte müssen deshalb nicht im luftleeren, also redaktionsfreien Raum entstehen, aber Kreative sollten grundsätzlich mit mehr Freiheit und Vertrauen ausgestattet werden.

Verständlich, dass Drehbuchautoren auch die anderen Produktionsstrukturen in den USA loben. In so einem Writers’ Room finden ja viele arbeitslose Autoren Platz. Wird dadurch wirklich etwas besser?

Bei der aktuellen Diskussion um den Writers’ Room geht es nicht um Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Das Neue am amerikanischen Writers’-Room-Modell für horizontale Serien ist, dass hier hochbezahlte Top-Autoren gemeinsam an der Serienentwicklung arbeiten und somit hochkarätiger kreativer Input möglich ist. Das ist eine sehr kostenintensive Einrichtung – in Deutschland noch in der Pilotphase. Inwieweit diese Form des Writers’ Room sich für ein bestimmtes Seriensegment in Reinform fest etablieren wird, muss sich noch zeigen. Der Begriff Writers’ Room ist in jedem Fall schillernd und wird aktuell auf viele Formen teamorientierter Entwicklungsprozesse angewendet.

Hervorgegangen ist der VDD aus der Arbeitsgemeinschaft der Drehbuchautoren, und die sei 1986 gleich mit einem Erfolg gestartet, sagen Sie: Die Drehbuchförderung sollte ersatzlos aus dem Filmförderungsgesetz (FFG) gestrichen werden, die Autoren hätten das verhindert. In der kommenden Neufassung soll das FFG nun sogar die Drehbuchfortentwicklung fördern. Allerdings sieht man von vielen geförderten Drehbüchern nichts mehr. Was bringt diese Förderung dann?

Die Einführung der Fortentwicklungsförderung ins neue FFG können wir als einen Erfolg im Jubiläumsjahr verzeichnen. Thematisch können wir damit tatsächlich direkt ans Anfangsjahr des VDD anknüpfen. Wir sehen es als wichtiges Signal, dass im Prozess der FFG-Novellierung die ganze Branche von den Kreativen bis zu den Verwertern die Bedeutung der Stoffentwicklung für die zukünftige Qualität des deutschen Kinofilms erkannt und neu bewertet hat.

Filmstoffe sind immer ein Versprechen auf die Zukunft. Natürlich werden auch zukünftig immer Projekte scheitern und geförderte Drehbücher nicht verfilmt, dennoch muss gerade dieser Förderbereich gestärkt werden. Die Entwicklung eines guten Drehbuchs ist die Phase der Filmherstellung mit dem geringsten finanziellen Risiko und gleichzeitig mit der größten Hebelwirkung auf den wirtschaftlichen und künstlerischen Erfolg der Filmproduktion.

Die neue Struktur der Drehbuchförderung sieht dabei zwei Stufen vor. Zum einen wird es weiter die sogenannte Seed-Förderung geben, die Ideen- und Drehbuchentwicklung eher in der Breite fördert. Wobei hier zukünftig die Mittel auf weniger und besonders aussichtsreiche Projekte konzentriert werden. Mit der Fortentwicklungsförderung wird die Ausrichtung der FFA als Spitzenförderung in der Drehbuchförderung etabliert. Hier werden ausgewählte Projekte erstmals mit einem Stoffentwicklungsetat ausgestattet.

Die Fortentwicklungsförderung wirkt damit in zwei Richtungen.: zum einen bietet sie das in der Produzentenlandschaft oft fehlende Geld für einen sorgfältige Stoffentwicklung, zum anderen verhilft sie dazu, dass den Produzenten durch die FFA-Förderung am Ende drehreife Bücher für die Verfilmung zur Verfügung stehen. Das ist ein deutlicher Fortschritt. In der Vergangenheit sind zu häufig aus wirtschaftlichem Druck heraus Drehbücher verfilmt worden, die nicht ausentwickelt waren. Die fertigen Filme waren entsprechend häufig ohne Marktchance.

Ihr Verband hat auch eine Stellungnahme zum neuen FFG abgegeben. Stellung nehmen Sie unter anderem auch zur Gendergerechtigkeit, nicht aber zum neuen Passus der „sozialverträglichen Arbeitsbedingungen“. Wieso ist das kein Thema für Sie?

Wir haben uns im Rahmen der FFG-Novellierung stärker auf unsere Zentralthemen fokussiert als vielleicht andere Verbände. Das Thema „sozialverträgliche Arbeitsbedingungen“ halten wir für absolut relevant – genauso wie das Thema der angemessenen Vergütung. Für die Qualität der Filme insgesamt hängt zukünftig viel davon ab, dass für die Filmschaffenden Arbeitsbedingungen herrschen, in denen Kreativität ohne Selbstausbeutung möglich ist und überhaupt noch komplexe Geschichten mit besonderem Kameraeinsatz, wechselnden Settings, spannenden Kostümen, Lichteffekten, Montagen und so weiter. zu professionellen Bedingungen realisiert werden können.

Hier geht es um Geld, aber auch um Zeit, die in der Vorbereitung, in der Produktion, am Drehtag – aber eben auch in der Recherche und in Drehbuchentwicklung spürbar fehlt und weniger wird.

Andererseits fordern Sie doch mehr Geld und Beteiligung: Sie wollten, dass Drehbuchförderungen an Hersteller und Autoren gemeinsam ausgezahlt, die Drehbuchautoren am Filmerfolg und der Referenzfilmförderung beteiligt werden – kurz „zukunftsfähige Vergütungsstrukturen in einem sich rasend wandelnden Medienumfeld“. Was wurde daraus?

Die Antwort auf den zweiten Teil Ihrer Frage zur Referenzfilmförderung kann ich kurz halten: nichts. Aber die Forderungen sind richtig, wir werden sie weiter stellen.

2007/08 legte der Streik der Drehbuchautorengewerkschaft beinahe ganz Hollywood lahm. Wäre so etwas hier denkbar?

Die Amerikaner haben mit der Streikmöglichkeit natürlich ein starkes politisches Instrument in der Hand, die Mitgliedschaft in der Writers Guild ist obligatorisch, und das ist die wesentliche Voraussetzung für die Möglichkeit zu streiken. In Deutschland sind Autoren Freiberufler, also Unternehmer, und sie sind nicht gewerkschaftlich organisiert. Eine so diverse Gruppe, wie es Autoren sind, unter den gemeinsamen Hut eins Streiks zu bringen, ist daher illusorisch. Dennoch gibt es ein starkes gemeinsames Bewusstsein der Missstände, aber unsere Mittel sind nicht so spektakulär, wir brauchen einen längeren Atem. Wir ziehen so kräftig wie möglich an den politischen Hebeln, die uns zur Verfügung stehen.

 

 

 

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