Cinema Moralia – Folge 182: Aber bitte mit Sahne

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Ganz so einfach ist es nicht...

Eigent­lich ein Moderne-Kunst­ver­ach­tungs- und -verar­schungs-Unter­nehmen: Tom Schilling in Werk ohne Autor

Film ohne Form: Über­le­gungen zur Rezeption des neuen Donners­marck-Films – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­ge­hers, 182. Folge

»Das Voll­kom­mene droht uns nicht nur unun­ter­bro­chen mit unserer Vernich­tung, es vernichtet uns auch.«
Thomas Bernhard: »Alte Meister«

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Berlin, Mitte August 2018. Pres­se­vor­füh­rung zu Werk ohne Autor von Florian Henckel von Donners­marck. Dankens­wer­ter­weise zwei Wochen vor Venedig, mit Sperr­frist, die ich albern finde, zumal ich nicht glaube, dass die Welt gebannt auf den neuesten Donners­marck-Film wartet, aber sei’s drum.
Ich gehe also die Roll­treppe hinunter im Cinestar am Potsdamer Platz und um die Ecke, denke an nichts Böses, und da steht er: Der Regisseur. Kommt auf mich zu. »suchsland@gmx – ich wollte dir vorhin aus dem Zug noch schreiben!« Na hoppla, das fängt ja gut an. Ok, denke ich, schön, wenn auch etwas uner­wartet, denn die letzten acht Jahre habe ich von ihm keine Mail bekommen, also frage ich viel­leicht etwas zu leutselig: »Aha, soso, warum denn?« Er: »Naja, ich wollte dir schreiben, weil wir uns ja in der Vergan­gen­heit schon etwas gekabbelt haben, dass ich hoffe, dass du vorur­teils­frei in meinen Film gehst.« Aha, denke ich, spätes­tens jetzt wahr­schein­lich nicht mehr, aber das sage ich nicht, leider dachte ich später, sondern ich murmelte, sowieso noch etwas fassungslos von der unge­wöhn­li­chen und daher uner­war­teten Begegnung, irgend­etwas Unver­bind­li­ches wie »naja, warum denn Vorur­teile, natürlich gehe ich ganz gespannt rein…« Dann ging ich in den Kinosaal.

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Das stimmte auch. Ich glaube, ich habe eher gehofft, dass ich den Film gut finden würde. Weil ich sowieso lieber gute Filme sehe, und weil ich es auch doof finde, immer Donners­marck-Filme verreißen zu müssen.
Dort im Kinosaal dann etwa 40 Berliner Kollegen. Marten Schuh­ma­cher, der vom Disney-Verleih beauf­tragte Pres­se­agent tritt unten vor die Zuschauer, murmelt irgend­etwas von der Sperr­frist und Venedig, nochmal denke ich naja, die ham’s ja nötig, aber dafür kann Marten ja nichts.
Dann aber gab es etwas zu sehen, was ich in ziemlich vielen Jahren als Film­kri­tiker noch nicht erlebt hatte: Der Regisseur trat vor, und nicht etwa begrüßte auch er kurz die Anwe­senden und sagte viel­leicht »Ich freue mich, dass Sie da sind« und »Viel Spaß!« oder Ähnliches, sondern er sprach. Er trug vor. Er hielt genau­ge­nommen eine geschla­gene 17 Minuten dauernde Rede, in der er ausführ­lich beschrieb, was wir gleich sehen würden, seinen Film, und auch das vorweg­nahm, von dem man über­rascht sein könnte, und wo es bei einem Film­kri­tiker dann einen Shitstorm gibt, wegen »Spoilerns«. Dazu erzählte Donners­marck auch von Gerhard Richter, mit dem sein Film ja nur angeblich nicht viel zu tun hat, erzählte von seinem langen, vier­wöchigen, von Donners­marck mit einem »Exer­zi­tium« etwas kokett vergli­chenen Treffen mit Richter.
Von dem war mir schon aus Kreisen der Produk­tion erzählt worden, aber auch wenn man nichts wusste von dem ganzen Projekt, nichts wusste von Richter, nichts von der Geschichte seiner Tante und den Recher­chen Jürgen Schrei­bers, die Donners­marck für seinen Film ausge­schlachtet hat, dann war es trotzdem keine gute Idee, das dann so vor der versam­melten Kriti­ker­schar auszu­breiten.
Es nervte. Es kostete Zeit. Es machte die Kollegen unge­duldig. Man muss sich zu alldem ja vorstellen, dass sowieso schon jeder wusste, dass einen ein Film erwartete, der laut Ankün­di­gung drei Stunden und acht Minuten dauern würde. Man schaute also auf die Uhr und dachte, ok, um 18 Uhr komme ich hier schon mal nicht raus, sondern es wird mindes­tens bis halb sieben dauern, denn die Pres­se­fuzzis werden dann natürlich auch noch wissen wollen, wie man das alles jetzt fand. Ich glaubte dabei, irgend­wann das leicht gequält wirkende Gesicht des anwe­senden Pres­se­per­so­nals gesehen zu haben, aber das mag subjek­tive Wahr­neh­mung gewesen sein.
Gegen Ende der Rede hub Donners­marck dann gar noch zu einem Grund­satz­state­ment im für diesen Regisseur üblichen Pathos an: »Solche Filme wie dieser können heute eigent­lich nicht mehr gemacht werden. Damit sie dennoch gemacht werden können, brauchen wir Euch.«
Wow! Man könnte auch sagen: Er flehte. Er bettelte. Florian Henckel von Donners­marck bettelte um Gnade und gnädige Kritiken. Das war ja dann fast schon wieder sympa­thisch.

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Wenn es sehr fraglich ist, ob diese Art von Film überhaupt noch gemacht werden kann, dann muss man hier aber auch mal nach­fragen: Was ist eigent­lich »diese Art von Film«?

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Wie gesagt: Absolut unüblich. Das passiert nie! Nie!! Nie!!! Regis­seure haben in Pres­se­vor­füh­rungen nichts zu suchen. Wenn überhaupt, sollten sie schweigen und am Ende unsichtbar bleiben. Ein No-Go, das man diesem Mann offenbar nicht ausreden konnte. So ein Auftritt ist auch »nicht hilfreich« (Angela Merkel). Aber er hat mich gerührt in seinem Dilet­tan­tismus: Mannomann, der hat’s ja nötig. Offenbar ahnt er auch, dass sein Film nicht so perfekt ist, wie er es gern hätte…

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Das war dann aller­dings auch der sympa­thischste Moment in der Zeit der Heraus­brin­gung des Films »Werk ohne Autor«. Mit dem Spiegel-Interview in der Woche drauf war man dann auch als gnädig Gestimmter wieder auf dem Boden der Tatsachen.
Da vergleicht sich Donners­marck, ein bisschen indirekt natürlich, denn ganz so blöd ist er nicht, mit Orson Welles, mit Spielberg, und redet auch sonst viel Unsinn. Der Stil dieser Inter­views ist immer gleich: Es sind gespreizte, von Name­drop­ping strot­zende Formu­lie­rungen: »mein Freund Bernd Eichinger«, »Zu wichtigen Momenten bei mir wichtigen Freunden begegnete ich über die letzten Jahre immer wieder dem Werk Gerhard Richters.« – offenbar haben alle wichtigen Freunden des Regis­seurs Original-Richters zuhause hängen, was auch den Regisseur selbst in golde­nerem Licht erstrahlen lässt, und das möchte er uns allen schon gern mitteilen, so wie Donners­marck auch gern betont, dass Richter ihm vier Wochen seiner Zeit gegeben hätte, und er, Donners­marck, diese Gespräche sogar aufzeichnen durfte. Selber schuld, denkt mögli­cher­weise auch Richter inzwi­schen. Noch einen weiteren Freund erwähnt Donners­marck, Noam Gottesman, von dem man erfahren kann, dass er ein ehema­liger Hedge-Fonds-Manager ist mit 2,7 Milli­arden US-Dollar Privat­ver­mögen – auf solche Freunde mit ihren Original-Richter-Bildern ist Donners­marck offen­kundig unglaub­lich stolz. Und weil er das etwas zu deutlich und etwas zu oft durch­bli­cken lässt, sind das eben peinliche Selbst­in­sze­nie­rungen und übrigens auch ganz unaris­to­kra­ti­sche.

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Am kras­sesten ist das Interview im Pres­se­heft, das von Thomas Schultze erstellt wurde. Dass Donners­marck da allen Ernstes in der Lang­fas­sung des Inter­views zum Pres­se­heft behauptet, er habe sich mit zehn Jahren für die Reinkar­na­tion Picassos gehalten, das ist so ein hane­büchener Quatsch und Größen­wahn­sinn, wenn wir das überhaupt mal glauben wollen, was ich bei der Detail­freude der Erin­ne­rungen gerade nicht tue.
Überhaupt: Der unglaub­liche Größen­wahn der Äuße­rungen dieses Regis­seurs, das unfass­bare Pathos bei gleich­zei­tiger Hohlheit der Antworten geht auf keine Kuhhaut.
Eine Stilprobe:
»Die Erotik war für mich immer ein entschei­dender Bestand­teil der Kunst, vor allem natürlich der Gegen­warts­kunst. Und sie war für mich ein großer Trost und wichtiges Ventil in unserer streng katho­li­schen Familie. … »Kunst ist Abso­lu­tion«, schrieb Elfriede Lohse-Wächtler, eine hoch­be­gabte Malerin der Avant­garde, die von den Nazis wegen Schi­zo­phrenie ermordet wurde, in der Nerven­heil­an­stalt Arnswald in mächtigen Lettern an die Wand, wo es Marianne Schön­felder, die Tante von Gerhard Richter, laut Jürgen Schreiber gesehen haben dürfte. Um diese Wahrheit zu erfahren, musste ich nicht einmal in die Psych­ia­trie.«

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Eigent­lich zum Lachen. Wie diese geschwol­lenen Formu­lie­rungen: »Er ließ mich schon als Kind erahnen, dass Kame­ra­füh­rung auf höchstem Niveau genauso Kunst sein kann wie Malerei.« Wie diese designten Thomas-Schultze-Fragen, in denen der Frage­steller immer einen Quer­ver­gleich zieht zwischen Donners­marck und seiner Haupt­figur, also Gerhard Richter, was natürlich auch nur den Regisseur verklärt:
Erste Frage: Zu Beginn von Werk ohne Autor sieht man, wie Kurt Barnerts Interesse für die Kunst erweckt wird. Wann sind Sie mit Kunst in Berührung gekommen? Wann wurde Ihre Begeis­te­rung entfacht? Wer waren für Sie die Menschen, die Sie Kunst gelehrt haben?
Zweite Frage: Werk ohne Autor erzählt davon, wie ein junger Mann seine Stimme als Künstler entdeckt. Wann hatten Sie den Eindruck, Ihre Stimme als Künstler gefunden zu haben?
Dritte Frage: Gibt es eine Kunst­epoche, die Sie besonders schätzen? Die für Sie als Filme­ma­cher – also einen Künstler, der mit bewegtem Bild malt – besonders wichtig ist?

Potzblitz! Das hat Florian Henckel von Donners­marck alles persön­lich abge­nommen, also zu verant­worten. Aber dann steht da wieder »SS-Ober­sturm­band­führer« obwohl diese Herren ja seiner­zeit keine Band­leader waren, sondern einen Mörder­haufen befehligt haben.

Dann wieder Name­drop­ping: Gespräche mit Thomas Demand, Setbe­suche des »großen Andreas Gursky« für »einige Tage«, von »Albert Oehlen … mit seiner entzü­ckenden Tochter. Alle habe ich natürlich gleich ausge­fragt, um alles noch ein bisschen echter zu machen.«

Schließ­lich dann sonderbar verquere, mit Größen­phan­ta­sien verbun­dene Behaup­tungs­kas­kaden: »Die große Kunst, die in den Sech­zi­gern in Düssel­dorf entstand, verdrängte nichts und war völlig frei. Und somit konnte aus dem Schlimmsten, was Deutsch­land je getan und erlitten hat, wie durch ein Wunder das Größte entstehen.«

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Alles ist irgendwie hemmungslos bei diesem Regisseur, und alles ist immer ein, zwei, drei Nummern zu groß. Ein Buch zum Film, mal wieder. Bei Suhrkamp natürlich. 2006 hatte es das schon gegeben zu »Das Leben der Anderen«, das musste dann geschwärzt oder einge­stampft werden, und kam 2007 in einer neuen Fassung heraus, weil Ulrich Mühes Ex-Frau Jenny Gröllmann erfolg­reich gegen einige Sätze aus dem Buch geklagt hatte. Christoph Hoch­häusler, von dem man das nicht unbedingt erwartet hätte, hatte damals den Gesprächs­partner, eher Stich­wort­geber für den GröRaZ gemacht. Schade. Auch diesmal dachte ich, schade, denn auch von Alexander Kluge hätte ich etwas mehr Geschmack und etwas weniger Eitelkeit erhofft, als Donners­marck mit seinem doch viel besseren Namen hier noch aufzu­motzen.

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Nirgendwo ist »Werk ohne Autor« so deutsch wie in seinem Aussehen, dem Produc­tion Design. Vom »Malen nach Zahlen« hat bissig die Variety-Kriti­kerin geschrieben. Es sieht alles geleckt und steril aus, viel zu sauber. »Zeige­gestus« hat das Peter Körte in der FAS genannt. Und den Unter­schied treffend auf den Punkt gebracht: »Wo Produk­ti­ons­de­si­gner in ameri­ka­ni­schen Histo­ri­en­filmen eine Welt entstehen lassen, in die man hinein­gleitet, kommt man sich in deutschen Filmen immer vor wie in einem pädago­gisch gut betreuten Museum mit mehreren Sälen, hier für die Nazizeit, die DDR, die junge Bundes­re­pu­blik, in denen exem­pla­ri­sche Exponate mit einer gewissen Aufdring­lich­keit vermit­teln sollen, wo man gerade ist. Was dann meist so statisch wirkt, als hätte man ein Bühnen­bild aus dem Theater ins Kino geschleppt.«

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Werk ohne Autor ist eigent­lich eine Satire auf Groschen-Roman-Niveau, ist eigent­lich ein Moderne-Kunst­ver­ach­tungs- und -verar­schungs-Unter­nehmen, weil es die Künstler nicht ernst nimmt, die Kunst schon gar nicht, weil es sich nicht ernst nimmt, weil es belegt, auf welchem mise­ra­blen und geist­losen Niveau das deutsche Kino inzwi­schen ange­kommen ist.
Wer diesen Film verant­wortet, also auch die Sender, auch die Förderer, auch die Produ­zenten, nicht nur FHvD, der vermut­lich gern allein­ver­ant­wort­lich wäre, ein GröRaZ, der hat eigent­lich von Kunst keine Ahnung, sondern nur eine banau­sen­hafte Sicht von Draußen. Leider verant­worten diese Null­che­cker aber, was gemacht werden darf.
Ein Offen­ba­rungseid, nicht weil der Film so schlecht wäre, sondern weil er so ungeniert wie selten vorführt, was Pasolini schon vor 50 Jahren beschrieben hat: Dass alles Konsum wird, und alle Konsu­menten. Florian Henckel von Donners­marck konsu­miert Gerhard Richter, die Leute sollen Donners­marcks Film konsu­mieren und damit eine konsu­mis­ti­sche Version Richters. Usf.
Die Musik ist im Übrigen entsetz­lich und miserabel einge­setzt. Sie belegt diesen hemmungs­losen Willen eines hemmungs­losen Regis­seurs zur Über­wäl­ti­gungs­äs­t­hetik, bei der zugleich den Zuschauern nicht getraut wird, weshalb fort­wäh­rend Geigen
wimmern, und Schwulst­musik schram­melt.

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Das sehen auch nahezu alle mir bekannten Kollegen so, im In- wie Ausland. Die Film­kritik von Frédéric Jaeger versucht im mitunter abge­hackten Stil im Stak­ka­toton den Wahnwitz dieses Regis­seurs und seines wahn­wit­zigen Films zu fassen. Das gelingt ihm so wenig wie mir im Versuch, ruhig zu bleiben. Frédéric hat mit allem recht, immer moralisch und ästhe­tisch, meistens sachlich, was er über diesen Film schreibt, aber ich kann ihm nicht zustimmen, wenn er behauptet, Geis­tes­blitz und Zufall seien nur ein Klischee. Wenn es so einfach wäre.
Auch nicht, wenn er implizit auch behauptet, dass man nicht filmen könne, wie Kunst entsteht. Man kann alles filmen, behaupte ich, man muss es aber halt tun, und Florian Henckel von Donners­marck kann es nicht – das ist der Punkt, und da sind wir uns wieder einig. Ich glaube auch, wie Frédéric, dass Moderne Kunst FHvD, wie wir ihn jetzt mal nennen wollen, um keinen Platz zu verschwenden, ein Graus sein muss.

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Beatrice Behn ist ungenauer. So behauptet sie, »Immer hingucken! Das Wahre ist das Schöne.« sei der »Wahl­spruch« der Tante Elisabeth gewesen, wo sie im Film doch sagt »Niemals wegsehen. Alles was wahr ist, ist schön«, was natürlich etwas völlig anderes ist.
Falsch ist auch der Name des Richter-Schwie­ger­va­ters, der bei Behn nicht Seeband heißt, sondern Seebad &ndash ein lustiger und unter­be­wusster Verschreiber, denn es gibt ja neben dem Bild von der »Tante Marianne« auch das Richter-Bild »Familie am Meer« und darauf ist die Familie Eufinger zu sehen, die im Film Seeband heißt.
Trotzdem trifft Behn ein paar wichtige Punkte sehr gut: Die vielen Spie­ge­lungen, mit denen der Film arbeitet. Die schmie­rigen Frau­en­kli­schees, die sich zu einem Panorama der Frau­en­ver­ach­tung auswachsen. Den »unfass­baren Hohn« bestimmter Dialogs­ätze ange­sichts der histo­ri­schen Fakten.
Das Beleh­rende des Films und Donners­marcks Scheitern vor der Aufgabe des eigent­lich filmi­schen Erzählens. Vor allem aber entdeckt Behn sehr treffend die heimliche, ihm selbst viel­leicht nicht recht klare Bewun­de­rung des Regis­seurs für die Figur des Nazi-Täters: »Insze­niert als Nazi-Monster, will der Film aber gleichsam nicht davon abkommen ihn irgendwie auch zu bewundern für seine Prin­zi­pi­en­treue und Härte. Es irritiert schon sehr, zu bemerken, wie von Donners­marck hier insgeheim das Hart-Maskuline in Seeband zele­briert.«
Und schließ­lich: »Am schlimmsten an diesem Werk ist jedoch die Ignoranz den histo­ri­schen Bedeu­tungen gegenüber, die von Donners­marck hier bunt zusam­men­wür­felt, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie er hier per Montage Paral­lelen zieht.« Die seien einfach nur »furchtbar«, »gefähr­lich« und »absolut popu­lis­tisch«.

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»Kunst ist im Kino schon oft miss­ver­standen worden, aber selten so gründlich. Henckel von Donners­marcks Unkenntnis der Kunst der frühen 60er Jahre lässt ihn die Düssel­dorfer Akademie als Ort des ‚Anything Goes‘ kari­kieren, wo bereits die erst viel später akade­misch aner­kannte Perfor­mance-Kunst das Sagen hat. Ausge­rechnet der damals der Pop Art nahe­ste­hende Richter wird zum Vorbild einer Kunst, die wieder Inhalte trans­por­tieren möchte. Kunst­ge­werb­lich wie die Pseudo-Richter-Werke, die uns im erns­testen Moment des Films nur noch schmun­zeln lassen, ist sein Filmstil – ein muffiges Ausstat­tungs­kino, wie es in Hollywood schon um 1960, der Spielzeit dieses geschichts­bes­senen und doch -verges­senen Histo­ri­en­dramas, schon als altmo­disch gegolten hätte.«
Daniel Kothen­schulte, FR 05.09.2018

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»Schweigen wir von der musi­ka­li­schen Unter­ma­lung – wer so erzählt, der hält entweder sein Publikum für einen Haufen Voll­idioten oder glaubt ernsthaft an den künst­le­ri­schen Mehrwert solcher kruden Sequenzen. Wahr­schein­lich ist, wenn man Donners­marck reden hört, dass Letzteres zutrifft. Er will uns nicht nur zeigen, wie die Traumata den Künstler zum Künstler machen, sondern auch,« wie Donners­marck dem »Spiegel« erläu­terte, »was ich über Deutsch­land, deutsche Kunst und überhaupt die Kunst­ge­schichte des 20. Jahr­hun­derts denke«. Da kommt schon einiges zusammen.
»Dresden wird bombar­diert, die Kamera schwelgt im wilden Feuer­schein, vergoldet durch das Stan­ni­ol­pa­pier, das die Bomber abwarfen, um den Funk­ver­kehr zu stören; Angehö­rige der Familie Barnert fallen an der Front; Tante Elisabeth wird in die Gaskammer geführt, und die Kamera steht da, wo die Täter stehen, als sei das einerlei. Und die Musik tost weiter.
Donners­marck hat, vom »Spiegel« dazu befragt, erklärt, man habe die Szene in einer Gedenk­s­tätte gedreht, am Tag des Gedenkens an die Opfer des Natio­nal­so­zia­lismus, im Beisein von zwei Experten. Die »richtige Haltung« sei ihm »sehr wichtig« gewesen. Aber was hilft die politisch-mora­li­sche Haltung, wenn man nicht weiß, welche ästhe­ti­schen Schlüsse daraus zu ziehen sind?
(Peter Körte, FAS, 30.09.18)

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»…ein Tizian-weicher Bilder­bogen, darge­bracht mit viel Liebe zu aufpo­lierten Details und von Schau­spie­lern (in den Haupt­rollen Tom Schilling, Paula Beer, Sebastian Koch), die stets so proper aussehen, als kämen sie gerade aus der Spezi­al­rei­ni­gung, in der das ZDF seine Drei­teiler aufbügeln lässt. Selbst Szenen größter Gewalt, die Bombar­die­rung Dresdens zum Beispiel, werden mit einem Schmelz grausam erhabener Schönheit überzogen. Nur in der Gaskammer geht das nicht, doch gibt es dort, wie zum Ausgleich, eine Portion Zusatz­rüh­rung: Der Film zeigt die Tante, er zeigt aber auch eine behin­derte Frau. ‚Ich habe dich lieb‘, sagt sie zur Wärterin. Darauf die Wärterin: ‚Ich dich auch.‘ Die Tür geht zu, das Gas strömt ein.
Nein, ein Übermaß an Subti­lität wird man diesem Film nicht nachsagen können. Man merkt, es geht ihm nicht um Geschichte, er benutzt sie nur. So wie er auch seine Figuren benutzt, die nicht als Subjekte ihres Lebens auftreten, eher schon wie Objekte einer Demons­tra­tion. Ein Maler sucht sich ein Modell, weil er in ihm ein Idealbild erblickt. Dieser Film sucht sich Menschen, die er in Modelle verwan­delt, in Arche­typen.«
Hanno Rauter­berg, ZEIT 06.09.2018

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Gerhard Richter selbst hat dann mali­ziö­ser­weise genau zum Filmstart in einem dpa-Gespräch erklärt, warum er den Film nicht sehen wolle: »Zu reiße­risch«. Der Trailer habe ihm gereicht. Juris­tisch könne er gegen den Film nichts unter­nehmen.
Dass sich der zarte, zurück­hal­tende Künstler über Donners­marck ärgert, kann man sich vorstellen. Zumal über das Angeben mit der vielen Zeit, die ihm Richter zugestand. Ein bisschen muss er sich selbst aber Mitschuld geben: Er hätte sich über Donners­marck erkun­digen, oder einfach seine Filme ansehen können.

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind auf artechock in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurzkri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.

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