Erschütterung mit Liebe

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Mit Norbert Herzner erhält ein Pionier des digitalen Filmschnitts und einer der vielseitigsten ­Editoren in Deutschland den „Ehrenpreis Schnitt“ – nächste Woche bei Filmplus.

Mit Norbert Herzner erhält ein Pionier des digitalen Filmschnitts und einer der vielseitigsten ­Editoren in Deutschland den „Ehrenpreis Schnitt“ – nächste Woche bei Filmplus.

Der Filmeditor Norbert Herzner wird beim diesjährigen Filmplus-Festival, vom 26. bis 29. Oktober in Köln, mit dem „Ehrenpreis Schnitt“ für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Erstaunlicherweise ist es der allererste Filmpreis für den 73-Jährigen, der eine überaus eindrucksvolle und verschiedenartige Filmografie mit mehr als 50 von ihm montierten Werken aufzeigen kann. Einige seiner Filme sind moderne Klassiker oder sogar Kultfilme geworden; so wie „Out of Rosenheim“ (1987) und „Abwärts“ (1984), die beide während des viertägigen Festivals gezeigt werden.

Herzner war außerdem der erste Filmeditor weltweit, der mit „Knight Moves“ einen langen Spielfilm digital mit dem später marktführenden Avid montierte. Seine Erfahrungen aus der Arbeitspraxis, die er im Jahr 1991 mit dem damals völlig neuartigen System machte, fanden wegweisenden Eingang in dessen Entwicklung. 

Der Eröffnungsabend der 18. Ausgabe von Filmplus wird am 26. Oktober ganz im Zeichen des Ehrenpreises stehen. Gezeigt wird die neue, 4K-restaurierte Fassung der Kult-Komödie „Out of Rosenheim“ (1987), die in diesem Jahr in Cannes erstmals gezeigt wurde. Regisseur Percy Adlon und seine Frau Eleonore, mit der er das Drehbuch geschrieben hatte, werden zur Eröffnung kommen, um die Laudatio auf den Ehrenpreisträger zu halten. Am 29. Oktober wird „Abwärts“ gezeigt, bevor Herzner am Abend bei der Verleihung der „Schnitt-Preise“ der Ehrenpreis überreicht wird. 

Norbert Herzner montierte in seiner langen Karriere vor allem Spielfilme und das in vielen unterschiedlichen Genres. Das haben viele Editoren getan. Aber wenn man sich die extremst unterschiedlichen Tonlagen dieser einzelnen Filme besieht, kann man kaum glauben, dass derselbe Editor dahintersteht. Herzner beherrscht diese Tonlagen alle, und um die Bandbreite zu umreißen, sei nur mal die Spanne zwischen Christian Wagners stillem Eisenbahner-Drama „Wallers letzter Gang“ (1989) und der Proll-Komödie „Ballermann 6“ (1996) von Tom Gerhardt und Gernot Roll aufgetan. Außerdem montierte Herzner auch einige Dokumentarfilme und Fernsehfilme, etwa für Joseph Vilsmaier. 

Als er im Jahr 1991 mit „Knight Moves“ als erster Editor weltweit mit dem Avid an einem Langfilm arbeitete, steckte das System noch völlig in den Kinderschuhen, und die Möglichkeiten der Hardware waren extrem begrenzt. Das 35-Millimeter-Material musste zunächst auf Betacam überspielt werden, bevor es, extrem niedrig aufgelöst, zu für den Avid passenden Videodateien umgewandelt werden konnte. Der Ton konnte nicht direkt für die Mischung verwendet werden, sondern musste zuvor auf Perfo, also Magnetfilm ausgespielt werden. Die Software erfasste zunächst auch nicht die Meta-Daten: „Erst in einer späteren Version wurde der Bezug für den Negativschnitt möglich. Doch dafür mussten wir dann zunächst das gesamte Material noch einmal neu eindigitalisieren.“ 

Herzner stand in regelmäßigem Austausch mit den Entwicklern von Avid, die die Software während seiner Arbeit immer weiter ausbauten und an die Erfordernisse von Kinofilmschnitt anpassten. Trotz dieser besonderen Herausforderungen bei der schwierigen Pionierarbeit waren für Herzner die Vorteile für ihn als Editor sofort offensichtlich. Besonders die Möglichkeit, schnell neue Auflösungen für eine Szene ausprobieren und viele Schnitte ohne großen Aufwand erstellen zu können, sollten die Ästhetik des Filmschnitts insgesamt von nun an wesentlich verändern. Herzner gab anschließend Seminare zur Benutzung des Avid und stellte das System Rundfunkanstalten und Produzenten vor. 

Aber es ist nicht nur die technische Pionierleistung und die Vielseitigkeit seines Schaffens, die das Festival mit dem Ehrenpreis würdigt. Herzners Montage ist so wandlungsaffin und verschiedenartig wie nur bei wenigen Editoren in Deutschland. Und seine Filme lassen deutlich spüren, dass ihn eine übergroße Lust antreibt, das Material ganz nach seiner Fasson zu bearbeiten. Manchmal geradezu mit der Freude eines Pop-Art-Künstlers, der Farbe auf eine Leinwand schleudert, um mit ganz wenig Zutaten neue, aufregende Effekte und Erregungen zu schaffen. 

Etwa bei einer kleinen Szene aus dem Jugenddrama/Gangsterthriller „Kalt wie Eis“ (1981), der die erste von vielen Zusammenarbeiten mit dem Schweizer Regisseur Carl Schenkel war. Der junge Protagonist, noch nicht lange aus dem Knast ausgebrochen, geht einen Korridor hinunter, hört Geräusche hinter einer Tür, und geht wieder zurück – eine lange Einstellung mit einem langsamen Schwenk. Unvermittelt laute elektronische Sounds, zwei Gangster schneiden ihm den Weg ab, einer nimmt einen Knüppel und schlägt ihm auf den Kopf. Dem Schlag in der Totalen folgen ein paar Blackframes, bevor Herzner zwischen zwei alternativen Takes derselben Totalen wild hin und herschneidet, und dabei auch im zeitlichen Ablauf der Bewegung ein paar Frames vor und zurück springt. Es folgen einige Sekunden Schnitt-Gewitter mit schnellen Albtraumbildern und von Flipperautomaten, die der jugendliche Anti-Held so liebt.

Ähnliches findet sich auch in der Eingangsszene von „Out of Rosenheim“. Hier zerstreitet sich die Rosenheimerin Jasmin Münchgstettner mit ihrem Mann. Während die beiden auf einem Parkplatz mitten in der Wüste Kaliforniens im Auto sitzen, nimmt sie ihm die Zigarre aus dem Mund und wirft sie zum Fenster hinaus. Ein simpler Vorgang, der in nur zwei Einstellungen gedrehte wurde – eine Totale von hinten, die Kamera auf der Rückbank des Wagens, und eine Profilansicht der beiden durch das Beifahrer­fenster. 

Doch diese beiden einfachen Einstellungen und den simplen Vorgang montierte Herzner in ihrem Bewegungsablauf absichtlich „falsch“: Ihr Griff zur Zigarre und der Wurf aus dem Fenster wiederholen sich in den aufeinanderfolgenden Bildern mit ein paar Frames und schaffen so einen irrealen Eindruck, der die Intensität und die Erschütterung, die in diesem Augenblick auf der Figurenebene stattfindet, auf verspielt-originelle Art unterstreicht.

Dieser Spieltrieb des Editors, auch gegen gut begründete Konventionen das Material zu schneiden, machen immer wieder besondere Momente seiner Filme aus: Etwa auch, wenn in dem Actionfilm „Straight Shooter“ (1999), mit Dennis Hopper und dem Mediapark Köln in den Hauptrollen, ein Mordopfer auf einem Tisch liegt, und das laute, rhythmische Tropfen ihres Blutes auf den Teppich die Schnittfolge für die Szene vorgibt. 

Aber all diese Beispiele für montagegewordene Erschütterungen sind nur szenenbezogene Extravaganzen, einen Film kann man damit alleine nicht erzählen. Und so bleiben sie in seinen Filmen feine, intensive Spitzen, die aber nie den Fluss der Erzählung hemmen. Raumgreifend sind vielmehr Herzners Tempogefühl und ein einmaliges Gespür für subtile Momente, denen er durch seine Montage szenenentscheidende Wichtigkeit gibt. Oft sind es einfache Blicke, ein Blinzeln, ein scheinbar unwillkürliches Verziehen des Mundes, die zum genau richtigen Zeitpunkt kommen, um einer Dialogszene etwa ihre Schlagkraft zu geben. 

Herzner hat sich dies alles ganz autodidaktisch  beigebracht. Beruflich führte es den 1945 geborenen Münchner erst mal als Verlagskaufmann zum Jugendmagazin „Bravo“, wo er irgendwann um 1968 Verkaufsleiter wurde. Dem aufrührerischen Zeitgeist dieser Jahre gemäß, spielte Herzner in einer Rockband und war für ein Leben in Schlips und Kragen nicht zu begeistern – was dieser Posten allerdings damals erfordert hätte. Und so blieb sein Ausflug ins Verlagswesen kurz; ein Zeitungsinserat machte ihn auf die Firma Beta-Film aufmerksam, wo er im Synchron-Schnitt erstmals seiner ersten Passion nachgehen konnte, nämlich der Tongestaltung. 

Wie von selbst folgte ein Auftrag dem anderen, schließlich auch im Bildschnitt. Zunächst als Assistent von Jutta Brandstaedter, die Anfang der 1970er-Jahre mit Filmen wie „Mädchen mit Gewalt“ (1970, Regie: Roger Fritz) oder „Rocker“ (1972, Regie: Klaus Lemke) auf sich aufmerksam gemacht hatte. Schon bald montierte Herzner eigenverantwortlich seine ersten Filme, darunter die beiden Filme von Ulli Lommel „Ein Mann dreht durch“ und „Jodeln ist ka Sünd“ (beide 1974). Nach einigen erfolgreichen Filmen in den 1970ern, zu denen auch Komödien des Filmemacher-Ehepaars Werner Enke und May Spils gehören, kam er Anfang der 1980er an den Schweizer Regisseur Carl Schenkel, mit dem ihn eine besonders nachhaltige Arbeitsbeziehung verbinden sollte.

Doch seine Passion zum Ton, die er schon als Jugendlicher besaß, hatte Herzner nie abgelegt und agierte in den 1980ern auch immer wieder als Sounddesigner und nahm Geräusche für Filme auf. Sein eindrücklichstes Projekt war dabei „Der Name der Rose“ (1986), das der französische Regisseur Jean-Jacques Annaud für den Produzenten Bernd Eichinger realisierte. Herzner nahm viele der Foleys selbst auf und verbrachte dafür viele Tage mit dem Tonaufnahmegerät in Klöstern und Kirchen. Und auch im Wald, um während eines Sturmes das Rauschen in den Bäumen aufzunehmen. Eine abbrechende Tanne landete dabei nur wenige Meter neben ihm. 

Auch wenn sein letzter Film Vater Morgana nun schon acht Jahre zurückliegt, treibt ihn die Montage weiterhin um. Für Freunde setzt er sich immer noch an den heimischen Avid und auch sonst lässt ihn das Schneiden nicht los. In einem Interview berichtet er: „Es ist schon eine Weile her, dass ich meinen letzten Film geschnitten habe, aber ich träume immer noch davon, immer wieder. Ich erträume absurd große Schneide-Maschinen, die eine Mischung aus analogen und digitalen Schnittsystemen sind, und ich sitze davor, sichte und ärgere mich im Traum über die alltäglichen Dinge: über das komische Material und mein Grübeln, wenn ich nicht weiß, wie ich eine Szene beginnen soll. Das lässt mich einfach nicht los. Ich liebe meinen Beruf, ich liebe das Schneiden. Es ist ein Teil meines Wesens und meines Daseins, so absurd das vielleicht auch klingt.“

 

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