Gegensätzliche Perspektiven und markige Ansagen gab’s auch in Filmen und den anschließenden öffentlichen Pressekonferenzen. Sie mutierten aber mitunter zu inspirierenden Filmgesprächen. Szenenfoto aus „My Favorite Cake“. | Foto © Hamid Janipour

Auf der Berlinale wurden übrigens auch Filme gezeigt. Als vielfältig, unabhängig und risikobereit wurde das Programm angekündigt. Das sei auch gelungen, findet unsere Autorin. Dabei konnte sie nicht mal alles im Wettbewerb sehen. 

Die 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin gehen mit einer heftigen Unstimmigkeit zu Ende. Die auf der Abschlussveranstaltung geäußerten Meinungen einzelner Preisträger*innen zum Nahostkonflikt und die Reaktion von Teilen des Publikums darauf werden von einigen als antisemitisch wahrgenommen. Eine kulturelle Großveranstaltung, die nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, also dem 7. Oktober 2023, in Deutschland stattfindet, sollte mit einer solchen Herausforderung rechnen. Die Frankfurter Buchmesse hatte es im Oktober 2023 vorgemacht. Eine Rede des slowenischen Philosophen Slavoj Žižek löste zum Auftakt der Buchmesse eine scharfe Diskussion aus. In Frankfurt gelang es den Verantwortlichen und dem Publikum, die mitunter als Zumutung empfundenen Einlassungen auszuhalten. Möge es auch in Berlin gelingen.

Denn wie jedes Jahr öffnete die Berlinale 2024 auch wieder weite Horizonte. Das Programm wurde als vielfältig, unabhängig und risikobereit angekündigt. Und so ist es schließlich auch. Die Vielfalt der gezeigten Filme beweist, dass es geht: Verschiedene Perspektiven dürfen nebeneinander stehen und auch in den Dialog treten. Monologe, bisweilen auch markige Ansagen gab es auf den Pressekonferenzen. Sie mutierten aber mitunter zu inspirierenden Filmgesprächen, die – ganz wichtig! – für alle öffentlich zugänglich sind auf Youtube. So erklärte der in Berlin lebende russische Dokumentarist Victor Kossakovsky die großen Zusammenhänge, die wichtig sind fürs Verständnis seines Wettbewerbsbeitrags über Baumaterialien (dazu mehr weiter unten im Text). Dann wurde er dringlich und rief seinen Appell ins Publikum: „Wacht auf! Zement und Zucker ruinieren euer Leben!“ Am Ende gratulierte er den Berliner*innen ausdrücklich zum Erhalt des unbebauten Tempelhofer Feldes. 

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Vom neuen Filmförderungsgesetz erhoffen sich viele einen gewaltigen Schubs für die Branche. Dann gehen die Probleme aber erst richtig los, mahnt Martin Blankemeyer. Es gibt ja jetzt schon nicht mehr genügend Leute für die Arbeit. | Foto © HFF München

Die Personalprobleme in der Branche beschäftigt auch die Münchner Filmwerkstatt seit langem. Was zu tun wäre, hat deren Vorstand Martin Blankemeyer für die Zeitschrift „Black Box“ aufgeschrieben. Sein Vorschlag kommt mit nur sechs Eckpunkten aus.

Es tut sich was beim deutschen Film: wenn man in diesen Tagen Produzent*innen und Lobbyist*innen der Produktionsfirmen trifft, blickt man allerorten in hoffnungsvoll strahlende Augen: zum 1. Januar 2025 könnte durch ein neues Filmförderungsgesetz (FFG) Deutschland das Schlaraffenland der Filmbranche werden, mit einem opulenten Anreizmodell (ähnlich dem neuerdings in Österreich) und einer Investitionsverpflichtung für Streamingdienste (ähnlich der in Frankreich) und damit – so wird gerechnet – mit bis zu 60 Prozent automatischer Finanzierung für deutsche Kinoproduktionen. Von der Einigkeit der Branchenakteur*innen Deutsche Filmakademie, Produzentenverband, Produzentenallianz und AG Dok beeindruckt scheint sich auch die Kulturstaatsministerin für deren gemeinsamen Vorschlag zu begeistern, wie sie unter der Überschrift „Acht Vorschläge für die Zukunft des deutschen Films“ in der Süddeutschen Zeitung vom 15. Februar 2023 und bei mehreren Auftritten rund um die Berlinale durchblicken ließ.

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Achtung, Spoiler: Nach diesem Text werden Sie „John Wick 4“ womöglich mit anderen Augen sehen. Irgendwie fehlt eine Szene … Am Tag nach dem Dreh stand Dorothea Neukirchen noch ganz unter dem Eindruck ihrer Rolle. | Foto © Heike Steinweg

Dorothea Neukirchen hat in einem 90-Millionen-US-Dollar-Hollywood-Blockbuster mitgespielt! Zu sehen ist sie leider nicht – Schauspielschicksal. Aber eine tolle Erfahrung war es doch.

Juni 2021. Yeah, Jackpot! Ich bekomme eine Zweitagesrolle in einem amerikanischen Action Film, und das im zarten Alter von Fünfundsiebzig. E-Casting und Zoom-Call machen es möglich. Allerdings bekomme ich nur meine Szenen zu lesen. Geheimhaltung geht in diesem Fall über Drehbuchkenntnis. Selbst im Vertrag steht nur ein Fake-Titel, zudem muss ich eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Die Fans von Keanu Reeves sollen nicht erfahren, was, wann, wo gedreht wird.

Ich aber soll mir die früheren Folgen des Blockbusters ansehen, damit ich weiß, auf was ich mich einlasse. Der Bildwert ist fantastisch. Gut, es wird ein bisschen viel geballert für meinen Geschmack, aber die Gewalt ist kein Selbstzweck. Keanu Reeves ist ein tragischer Held, dem nichts anderes übrigbleibt, als sich gegen die Bösen zu verteidigen. Und zwischen den Actionszenen gibt es Zeit für Blicke, für ruhige Dialoge, für Comic Relief.

In diese Kategorie gehört wohl, was ich spielen soll: eine weißhaarige Tierpräparatorin, die unter der Hand mit Waffen dealt. Die Szene ist tricky: Während ich mit John Wick verhandele, soll ich eine „Glock“-Pistole auseinandernehmen und wieder zusammenbauen, so als hätte ich mein Lebtag nichts anderes getan. Dafür bekomme ich vor Drehbeginn fünf Tage Waffentraining. Das macht Spaß. Die amerikanische Lob-Kultur spornt mich an. Selbst unvollkommene erste Versuche werden mit awesome – you are doing so well belohnt. Hinter mir proben die Martial Arts Spezialisten für die Kämpfe. Ich bin fasziniert. Was im fertigen Film blitzschnell abläuft, wird hier sorgfältig und in Zeitlupe angelegt.

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Wenn zwei sich eine Aufgabe teilen, bleibt nicht nur mehr Platz für die Familie. Auch die Arbeit wird flexibler. Sylvia Grave jedenfalls hat da nur gute Erfahrungen gemacht. Zuletzt bei der Serie „Tender Hearts“ (von links): Ester Nyakato Rüppel (Maske), Madieu Ulbrich als „Bo“ und Hermina Gerlinger (Garderobe). | Foto © Nik Konietzny/Odeon Film

Beruf und Familie – das sollte doch zusammengehen. Auch beim Film. Lösungen für „Familiengerechtes Drehen“ sammelte Pro Quote Film während der Berlinale. Jobsharing zum Beispiel. Die Maskenbildnerin Sylvia Grave erlebt das Arbeitsmodell zum Thema Jobsharing als echte Chance für Filmschaffende.

In der Filmszene tut sich zurzeit viel in Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Pro Quote Film hatte während der Berlinale dazu aufgerufen, konkrete Vorschläge zur Umsetzung für jedes Gewerk einzureichen. Es gab ein interessantes Panel und verschiedene Workshops, die zahlreiche kreative Lösungsansätze hervorgebracht haben. Ein Workshop wurde von Jonas Sticherling moderiert, einem Produktionsleiter der ARD Degeto. Hier wurden von jedem Department spezifische Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufgezeigt, die Teilnehmer*innen konnten jedoch auch zeigen, dass es in vielen Fällen praktikable Lösungen gibt.

Als Maskenbildnerin konnte ich von meiner sehr positiven Erfahrung mit einem Arbeitsmodell berichten, das auf einer 35-Stunden-Woche basiert. Aufgrund einer Verschiebung des Drehtermins war ich zu Beginn einer TV-Produktion im sechsten Schwangerschaftsmonat. Die Gaumont war einverstanden, meine Arbeitszeit zu reduzieren, weswegen ich morgens mit meiner Kollegin Gerda Ziegler in der Maske zu arbeiten begann und mittags von unserer dritten Kollegin abgelöst wurde. Das Modell funktionierte so gut, dass wir vor drei Jahren für unser Projekt „9 Tage wach“ bei der Deutschen Akademie für Fernsehen für das beste Maskenbild nominiert wurden.

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Die Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ ist längst keine Nische für den Nachwuchs mehr. Die Filme greifen aktuelle Brennpunkte auf und zeigen an, welche Themen die nächste Generation beschäftigt. Der Dokumentarfilm „Vergiss Meyn Nicht“ basiert auf dem Originalmaterial eines Filmstudenten, der während einer Räumung im Hambacher Forst starb. | Foto © Made in Germany

Wenn alle nur auf den Wettbewerb starren, zieht hinten vielleicht unbemerkt die Zukunft vorbei. Gerade in der kleinsten Sektion bot sich eine echte „Perspektive Deutsches Kino“.

Längst ist die Sektion Perspektive Deutsches Kino kein Nebenschauplatz, bespickt mit deutschen Nischenproduktionen. Jetzt sollte man auch endlich mal die pauschale und oft maulig dahingeworfene Abwertung der Beiträge als „deutsche Perspektivlosigkeit“ ablegen. Leicht haben es die Filme der Sektion dieses Jahr in Konkurrenz mit den Haupt- und Nebensektionen der Berlinale trotzdem nicht gehabt. Wenn im Hauptwettbewerb des Festivals gleich fünf deutsche Filme antreten, ist es ungleich schwerer, Redaktionen und Publikum für die „Perspektive“ zu begeistern. Auch die Nebensektionen fuhren jede Menge Titel aus Deutschland ein. Das Generation-14plus-Programm öffnete mit „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ von Sonja Heiss, die 2007 mit „Hotel Very Welcome“ Perspektive-Teilnehmerin war. Im Berlinale Special zeigte Robert Schwentke seinen „Seneca“-Film. Auch er hatte von der Perspektive bereits eine Chance bekommen. 2003 liefen seine „Eierdiebe“ im Programm. Es gab noch mehr Titel, die von der Aufmerksamkeit für die kleinste Reihe des Festivals (was die Anzahl der Produktionen betrifft), weglenkten. Davon demnächst an anderer Stelle, in einem anderen Text. Um es noch einmal zu betonen: fünf deutsche Filme liefen im Wettbewerb. Zum Teil alte Bekannte mit Dauerabonnement. Wer neue Namen, neue Talente entdecken wollte, musste also die Sektion wechseln.

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Nicolas Philibert mit seinem „Goldenen Bären“. Noch sieben weitere in Silber werden im Berlinale-Wettbewerb vergeben – keiner verlässt Europa! Ist das jetzt Zeitgeist oder Zufall? Nicht mal die Hälfte der Filme im Wettbewerb stammte aus anderen Gegenden der Welt. | Foto © Berlinale

Endlich wieder richtig Festival! Nach drei Jahren im Schatten der Pandemie präsentierte sich die Berlinale im alten Glanz. Doch im Wettbewerb und den Preisvergaben ließ sich auch durchaus Neues erkennen.

Im Sommer des Jahres 1951 finden sich mehr als 20.000 Zuschauer*innen in der Berliner Waldbühne ein, um eine Open-Air-Filmvorführung zu sehen. Es ist das Gründungsjahr der Berlinale.

72 Jahre später, im kalten Februar 2023, kreuzen sich die Wege von 20.000 Akkreditierten, darunter 2.800 Medienvertreter*innen aus 132 Ländern, am Potsdamer Platz. Sie sind wieder da, die echten Menschen. Die Kinos sind voll. Im Laufe der 73. internationalen Filmfestspiele Berlin werden 320.000 Tickets für eine Auswahl von knapp 400 Filmen und Serien verkauft. Dem Ruf des Berlinale-Duos Mariëtte Rissenbeek (Geschäftsführung) und Carlo Chatrian (künstlerische Leitung) „Let’s get together“ folgen die Filmbranche und das Publikum gleichermaßen. Selbst die saftigen Ticketpreise von 15 Euro schrecken anscheinend nicht ab. Und das in Zeiten, in denen wir fast alle an irgendetwas sparen müssen. 

Im internationalen Wettbewerb konkurrieren 19 Produktionen um acht Preise. Die Jury, unter Leitung von Kristen Stewart, muss sieben „Silberne Bären“ für besondere Leistungen und einen „Goldenen Bären“ für den besten Film vergeben. Soviel vorweg: Kein Bär verlässt Europa!

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Was anfangs cool ist, wird irgendwann schwierig mit Familie. Und eine Babypause sollte auch nicht gleich das berufliche Aus bedeuten. Jobsharing könnte da helfen, findet eine Arbeitsgemeinschaft in den Berufsverbänden. Szenenfoto aus „Vier lieben Dich“ (1996). | Foto © Columbia

Zwei Menschen, eine Arbeit: Jobsharing soll helfen, Beruf und Familie zu vereinbaren. Das klappt auch in der Filmbranche, meinen Angehörige mehrerer Berufsverbände, die es versucht haben. Für die Arbeitsgemeinschaft Jobsharing stellen Veronika Große und Lisa Staub das Konzept vor.   

„Ich wusste sehr früh, dass ich beim Film arbeiten will. Aber ich wusste auch, dass ich mein Leben beschützen muss, damit es mir nicht entrissen wird.“
(Jodie Foster)

In einem Film ist alles möglich. Autos können fliegen, Tiere können sprechen, und im Sommer kann Winter sein. Wir Menschen, die beim Film arbeiten, sind ein buntes Volk. In keiner anderen Branche kann ein Beruf sowohl durch jemand ausgeführt werden, der/die Film an einer Universität studiert oder Fachwissen in einer Ausbildung erlernt hat, als auch durch jemand, der/die überhaupt keine fachspezifische Ausbildung hat. „Regeln sind da, um sie zu brechen“, wird uns beigebracht und: „Das Wort Nein gibt es nicht“. Jedes Projekt ist anders als das Vorhergehende. Manche spielen in der Vergangenheit, manche in der Zukunft. Mal soll Realität abgebildet werden, mal gilt es, eine Traumwelt zu erschaffen.

Flexibilität ist gefragt, und diese Flexibilität des Geistes macht uns Filmschaffende aus. Und das gemeinsame Arbeiten im besten Fall immer aufs Neue zu einem Erlebnis. Die Erfahrungen der Menschen hinter diesem Artikel kommen aus dem Kostüm- und Szenenbild. Aber im Grundsatz hat wohl jede Abteilung, ob Produktion, Regie, Kamera, Schnitt, Ton, Licht oder Maske, ähnliche Herausforderungen, was das Umfeld und die Arbeitsbedingungen angehen.

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„Schneiden ist für mich genau wie Schreiben und Drehen: Ich gehe einfach hin und probiere Dinge aus“, sagt der Regisseur und Editor Fred Baillif. Man müsse sich die Freiheit nehmen für Intuition und Improvisation.

Beim „Edimotion“ wurden wieder die besten Arbeiten der Filmmontage ausgezeichnet. Wir beschließen unsere Interview-Reihe mit den drei Preisträger*innen mit Fred Baillif, Regisseur und Editor des Spielfilms „La Mif“.

Lieber Fred, Dein hybrider Spielfilm „La Mif“ ist einer von mehreren Filmen beim diesjährigen Edimotion-Festival, der ausschließlich nicht-professionelle Schauspieler*innen einsetzt. Bevor wir also auf die Montage des Films zu sprechen kommen, etwas zum Hintergrund: Du selbst bist ausgebildeter Sozialarbeiter und hast mehrere Jahre in solch einer Jugendschutz-Einrichtung gearbeitet, wie sie im Film vorkommt. Wie hast Du Deine Protagonistinnen ausgesucht, und wie hast Du sie auf den Dreh vorbereitet?
Ich wollte von Anfang an einen Ensemble-Film machen. Also beginnt alles mit dem Casting. Ich setze mich hin und spreche mit ganz vielen Menschen. Ich verbringe Zeit mit ihnen und versuche ihren Hintergrund, aber auch ihre Gefühle und Persönlichkeit, zu verstehen.
Ich mache auch Improvisations-Workshops, in denen ich versuche herauszufinden, wer wer ist und welche Persönlichkeiten sie haben. Das ist in gewisser Weise wie ein Schauspiel-Workshop, aber es geht mehr darum, ihnen zu helfen, sie selbst zu sein und nicht bloß zu spielen. Das ist die erste Regel, die ich aufstelle: Ich sage ihnen, sie sollen nicht schauspielern, sondern einfach so reagieren, wie sie wollen, und ihre eigene Sprache und ihren Instinkt benutzen. So kann ich dann eine Geschichte schreiben, die auf dem basiert, was ich beobachtet habe. Das bleibt aber ein Drehbuch ohne Dialoge.

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In „Walchensee forever“ erzählt Janna Ji Wonders ein Jahrhundert eigener Familiengeschichte. Anja Pohl brachte die Erzählungen mit der Regisseurin in Form: „Als Editorin bin ich die erste Zuschauerin, das heißt, ich versuchte dieses Familiensystem zu begreifen und stellte Fragen, die Janna vielleicht nie gestellt hätte, weil sie die Antwort ja bereits kannte.“ | Foto © Edimotion/Juliane Guder

Beim „Edimotion“ wurden im Oktober wieder Filmschnitt und Montagekunst gefeiert und ausgezeichnet. Den „Schnitt-Preis“ für die beste Dokumentarfilmarbeit gewann die Editorin Anja Pohl für „Walchensee forever“. 

Anja Pohl, Glückwunsch zum diesjährigen Bild-Kunst Schnitt Preis Dokumentarfilm. Sie sind ja eine sehr erfahrene und vielfach prämierte Editorin, für Regisseurin Janna Ji Wonders war „Walchensee forever“ ihr Langfilmdebüt. Wie haben Sie sich kennengelernt und wie kam es zur Zusammenarbeit?
Als Janna in der HFF studierte, betreute ich ihre Kameraübung in der Schnittphase, ein kurzes Porträt ihrer Großmutter Norma, die am Walchensee das Café Bucherer in zweiter Generation führte, mit fast 90 Jahren:  „Warten auf den Sommer“. Die Vorgabe für diese Filmübung war: 16 Millimeter, Schwarz-Weiß, rein beobachtend. Ich war damals beeindruckt von der Klarheit und meditativen Kraft der Einstellungen und der Umsetzung. Als Janna mich Jahre später fragte, ob ich bei „Walchensee forever“ mitarbeiten würde, sagte ich ohne Zögern: „Ja!“

Die Regisseurin ist hier gleichzeitig auch Protagonistin, porträtiert die Frauen ihrer Familie über mehrere Generationen hinweg – wo lagen hier die Herausforderungen für die Montage?
Ich gebe zu, der Anfang war nicht leicht, und die Herausforderungen vielschichtig.
Es war zwar von Anfang an klar, dass die Frauen der Familie im Zentrum stehen. Aber alleine das Leben von Norma, Jannas Mutter Anna und deren Schwester Frauke war so reich und auch bewegt, dass wir über jede der Frauen einen eigenen Film hätten bauen können. Das bereitete uns einige Kopfschmerzen, Janna naturgemäß mehr, sie ist ja Teil dieses Familien-Psychogramms. Wie lässt sich eine verzweigten Erzählweise zulassen, ohne den „Hauptstamm“ aus den Augen zu verlieren, und das zusammengepackt in einen Dokumentarfilm, der nicht länger als maximal 99 Minuten sein sollte. Es wurden dann 109 Minuten.

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„Vibration – Inner Music“ zeigt die Tänzerin und Schauspielerin Kassandra Wedel, die Geräusche und Bewegungen auf ihre Art aufnimmt. Wedel ist gehörlos. Ilya Gavrilenkov versuchte, ihre Wahrnehmung in der Montage wiederzugeben. | Foto ©  Edimotion/Juliane Guder

Beim Edimotion wurden vorige Woche in Köln die besten Montage-Arbeiten des Jahres ausgezeichnet. Die „Schnittpreise“ werden in drei Kategorien ausgelobt. Wir sprachen mit den Preisträger*innen und beginnen die diesjährige Interview-Reihe wieder mit dem Kurzfilm: Ilya Gavrilenkov gewann für „Vibrations – Inner Music“ den „Förderpreis Schnitt“. 

Bei „Vibration – Inner Music“ warst Du auch als Regieassistent tätig. War das ein Vorteil für die spätere Arbeit im Schnitt?
Ich mag die Arbeit am Set genauso wie die im Schneideraum, deshalb habe ich bei diesem Projekt auch die Positionen von DIT (Materialassistent) und 1st AD übernommen. Ich konnte dadurch nach jedem Drehtag die Muster sichten und mir schon einen ersten Eindruck vom Material verschaffen, was uns, glaube ich, irgendwann sehr geholfen hat. Wir haben vor dem Dreh mit der Regisseurin des Films Cadenza Zhao die Struktur und die Richtung besprochen, die wir einschlagen möchten.
Ich hatte also schon zu diesem Zeitpunkt eine ziemlich klare Vorstellung davon, was wir brauchen könnten. Und als wir anfingen, den Performance-Teil zu drehen, wurde mir klar, dass wir zum Beispiel mehr Details von Instrumenten oder emotionalere Nahaufnahmen von Musikern brauchen würden, um den Temporhythmus und die Spannung aufzubauen. 

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Fee Liechti ist nicht einfach nur eine Meisterin ihres Fachs, sondern „als editorische Avantgarde das Schweizer Filmschaffen an der Grenze der Gattungen entscheidend mitgestaltet“, findet das Edimotion. Darum ist sie auch die erste Schweizerin, die auf dem Festival für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wird. | Foto © Hans Liechti

Beim Edimotion-Festival in Köln wird am Wochenende die Editorin Fee Liechti Seigner für ihr Lebenswerk geehrt. Als erste Schweizerin erhält sie den „Ehrenpreis Schnitt“.

Im Œuvre der Schweizer Schnittmeisterin Fee Liechti ist vor allem eines augenfällig: Lange bevor der hybride Film zur vieldiskutierten Modeerscheinung wurde, gestaltete sie bereits zahlreiche Werke an der Gattungsgrenze zwischen Fiktion und Dokumentation. Fee Liechti ist nicht nur eine Meisterin ihres Fachs und als solche verantwortlich für unzählige herausragende Kinoproduktionen der helvetischen Filmhistorie sowohl im Spielfilm als auch im klassischen Dokumentarfilm, sie hat vor allem als editorische Avantgarde das Schweizer Filmschaffen an der Grenze der Gattungen entscheidend mitgestaltet.

Vor allem in der Kreativpartnerschaft mit Regisseur Hans-Ulrich Schlumpf entstanden diesbezüglich interessante Projekte wie der auf der letzten Linienfahrt eines italienischen Ozeandampfers nach Buenos Aires gedrehte „Trans Atlantique“ (1983), der als Spielfilm die Liebesgeschichte eines Zürcher Ethnologen mit einer Brasilianerin erzählt, dabei aber durch umfangreiches authentisches Material aus Maschinenräumen, Mannschaftsunterkünften und Touristengruppen die Grenze zum Dokumentarischen bewusst verschwimmen lässt. Legendär ist jedoch vor allem der zehn Jahre später entstandene „Kongress der Pinguine“, der nach seinem Kinostart 1993 allein in der Schweiz über 75.000 Zuschauende erreichte und auch in Deutschland zum Verleiherfolg wurde. 

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Das Metaverse – für viele „das nächste heiße Ding“. John Canning hat vor 30 Jahren das Buch gelesen, für ihn ist das Konzept ein alter Hut. Aber deshalb nicht weniger interessant – denn die Technik sei inzwischen weiter und die Zukunft längst im Gange. | Foto © MTH Conference

John Canning ist Metaverse-Enthusiast. Der Elektroingenieur und Filmproduzent arbeitet seit über 30 Jahren mit interaktiven und immersiven Medien. Canning ist überzeugt: Filmschaffende sollten dringend die Möglichkeiten des Metaverse erkunden. Warum, erklärt er nächste Woche in seiner Keynote auf der MediaTech Hub Conference 22. Konferenzleiter Peter Effenberg hat vorab mit ihm gesprochen. 

John Canning, wir sprechen heute darüber, warum Filmschaffende das Metaverse erforschen sollten. Vom Metaverse wird zurzeit ja viel geredet, aber es ist auch schwer greifbar. Wie würden Sie das Metaversum definieren?
Ich habe tatsächlich angefangen, es als das „M-Wort“ zu bezeichnen, weil es von so vielen schlechtgeredet wird. Ich persönlich gehöre zu den Menschen, die alt genug sind, um „Snow Crash“ von Neal Stephenson gelesen zu haben, als es veröffentlicht wurde. Deshalb bin ich schon lange mit dem Konzept des Metaverse vertraut, das der Autor Stephenson damals begründet hat. Doch erst jetzt wird es plötzlich populär als „das nächste große Ding“.
Ich finde, es ist wichtig, darüber nachzudenken, wofür die Menschen das Metaverse nutzen wollen: Wohin gehen wir als nächstes? Es ist wichtig zu verstehen, dass wir nicht nächste Woche oder nächstes Jahr etwas auf den Markt bringen werden, das „das Metaverse“ heißt. Sondern es ist die Weiterentwicklung, die Evolution dessen, was wir bisher gemacht haben.

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Die Seuche ist zwar per Dekret beendet, aber was versteht so ein Virus schon? Noch immer sterben am Tag allein in Deutschland rund 300 Menschen ein Corona. Haben wir uns etwa an solche Zahlen gewöhnt? Szenenfoto aus „Ich – Einfach unverbesserlich“. | Foto © Universal

Mitschuld und Mitleid: Die Impfpflicht gibt es längst – Gedanken in der Pandemie, Folge 147.

„Du magst am Krieg nicht interessiert sein, aber der Krieg interessiert sich für dich.“
Lew Trotzki 

„Wir sitzen in der Arena des unvollendeten Projektes moderner Revolutionen und warten auf die Stars, die revolutionären und konterrevolutionären Subjekte. Doch niemand läuft ein. Ein treffliches Bild der lauen Gegenwart: Wartezeit und leeres Spielfeld.“
Matthias Beltz (1945-2002)

Heute sehnen wir uns zurück nach dieser lauen Zeit des Posthistoire, den Jahren des „Endes der Geschichte“. Mit der Pandemie spätestens ist sie zurückgekommen. Schon damals, erst recht jetzt im Ukraine-Krieg, der uns so nahe kommt, wie zuletzt der Bürgerkrieg in Jugoslawien – egal ob diese Feststellung jetzt sehr pc und sehr nett gegenüber den Syrern und Afghanen, den Israelis und Palästinensern ist, und allen anderen, noch ferneren, an deren fatales Schicksal wir uns schon längst gewöhnt haben. 

Die Pandemie hat uns bereits etwas gelehrt, was uns jetzt, im Angesicht des Krieges nicht mehr überrascht:  unsere Gleichgültigkeit, unsere Gewöhnungsbereitschaft. 

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Ein junges Paar erwartet sein erstes Kind. „Klondike“ könnte ein Familienfilm sein. Doch draußen vor der Tür tobt schon der Krieg: es ist 2014 im Osten der Ukraine. Maryna Er Gorbach inszenierte nach eigenem Drehbuch, in Sundance wurde sie im Januar für die beste Regie ausgezeichnet. | Foto © Kedr Film

Die 72. Berlinale war ein Jahr mit starken Dokumentarfilmen und einem Blick auf mehrere Brennpunkte. Der Blick führte bis in die Ukraine und bis nach Myanmar. Unter anderem.

Ein Film ist ein Erlebnis. Ein Film ist ein Erlebnis, das wenn man es teilt, mehr wird. Das gilt sicherlich auch für das Theater, für Konzerte und für Ausstellungen. Was man an diesem Teilen hat, das wird erst klar, wenn man ein Ereignis nicht mehr teilen kann. Filme werden fürs Kino gemacht. Kino ist per Definition schon ein gemeinschaftliches Erlebnis. Nicht nur, weil wir etwas gemeinsam erleben, sondern weil wir uns im Anschluss über den Film austauschen können. Oft gerät man in hitzige Debatten (wir berichteten). Man schleift an den eigenen Eindrücken und arbeitet sie dabei noch deutlicher heraus. In der Reaktion der anderen erkennt und versteht man seine eigene besser. Genau das konnte die 71. Berlinale nicht liefern.

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Alexander Kluge ist Schriftsteller, Filmemacher, Medienpolitiker und einer der großen Intellektuellen des Landes. Mitte Februar wurde 90 Jahre alt. Und mischt weiter mit. | Foto © Markus Kirchgessner

Artistik, Eigensinn und Verteidigung der Unterscheidungskunst: Zum 90. Geburtstag von Alexander Kluge. Feuilletonkolumnen als Objekt von Symbolpolitik – Gedanken in der Pandemie, Folge 146.

„Der Krieg ist ein Chamäleon.“
Carl von Clausewitz

Zum Ukraine-Krieg möchte ich hier und jetzt nichts schreiben. Wen das interessiert, der kann unter meinem Namen die Texte bei „Telepolis“ googeln. Da auch ein sehr gutes Interview mit Ulrike Guerot zu Corona, zu dem ich in der nächsten Ausgabe noch was schreibe.

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Politisches Rätselraten gibt es nach wie vor über die beabsichtigte Einführung der allgemeinen Impfpflicht. Die Ampelkoalition scheint sich darüber weiterhin nicht einig zu sein: SPD und Grüne wollen sie, die FDP ist da eher gespalten. Abgeordnete in der FDP fürchten einen unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff. So auch der Bundesjustizminister Marco Buschmann: „In meinen Augen können nur gewichtige Rechtsgüter der Allgemeinheit wie die Abwehr einer Überlastung des öffentlichen Gesundheitssystems einen solchen Eingriff rechtfertigen. Ob das derzeit tatsächlich noch eine drohende Gefahr ist, daran kann man zweifeln.“ So Buschmann am 19. Februar im „Spiegel“. 

Eine schräge Argumentation: Denn es war seit jeher die Überlegung, dass eine Impfpflicht vor allem eine präventive Maßnahme ist. Das heißt: Es kann nicht angehen, dass man in Zeiten einer akuten Überlastung und sonstigen Gefahr gegen eine Impfpflicht mit dem Argument eintritt, jetzt bringe das alles ja nichts mehr, dass man aber in den Zeiten in denen Prävention möglich ist, dagegen argumentiert mit der Begründung, jetzt sei die Gefahr ja nicht akut. Das ist übelste Sophistik.

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